Großer Kaukasus oder Touristen – was ist eigentlich das größere Abenteuer?

Tiflis, Georgien

132. Reisetag

5590 Kilometer

Sie sind perfekt ausgestattet, haben die kompletten High-Tech-Ausrüstungen, kennen das Zwiebel-Prinzip, sind absolut hochgebirgstauglich, kommen mit Sitzkissen, Desinfektionsmittel, Wanderstöcken und Regenschirm! Sie kennen die Welt, waren schon überall, kein Zipfel der Erde ist ihnen fremd. Nepal, Indien, Mongolei, Kirgistan, Bolivien, Marokko, Kilimandscharo? Alles schon gesehen.
Ich bin mit Touristen unterwegs.

Aber von vorne.

Ich habe etwas Zeit geschenkt bekommen. Die Zeit, die ich eigentlich im Iran verbringen wollte, für den ich aber wegen der Präsidentschaftswahlen kein Visum erhalten habe. Was liegt also näher, als den Großen Kaukasus etwas zu erkunden? Schließlich gibt es hier noch völlig abgelegene, nicht erschlossene Bergwelten. Ich entscheide mich für eine Trekkingtour, ohne Fahrrad, aber mit Gruppe. Im Internet finde ich Hauser Exkursionen, offensichtlich ein Veranstalter, der in der ganzen Welt derartige Touren anbietet. Nach der Buchung erhalte ich die Reiseunterlagen. Dort wird genauestens beschrieben, was geboten wird, was man einpacken und sogar wieviel Trinkgeld man geben soll. Dass auch ja jeder Bescheid weiss. Beim Essen heißt es meistens FMA, es ist also für alles gesorgt. Einen Versuch ist es wert.

Beim ersten Treffen mit der Gruppe berichten sie mir, wo sie bereits überall waren, und vor allem, welche Katastrophen sie schon durchleben mussten. Eine eindeutige Leidenshäufung findet sich hier bei der Versorgung mit Essen und Trinken. Immer wieder gerne: der Hubschrauber kam nicht oder konnte nicht landen. Die schlimmste Geschichte von allen wird mir emotionsgeladen von G1 aus Düsseldorf aufgetischt.
Liebe Kinder, jetzt bitte nicht weiterlesen!
Es war in Nepal. Wieder mal konnte H. nicht landen. Teile der Lebensmittel verdarben. Die begleitenden einheimischen Köche konnten zwar die Versorgung sicherstellen, aber es gab 18 Tage lang kein Fleisch.
Das muss man sich mal vorstellen!
18 Tage lang!
Kein Fleisch!
Mir gefror das Blut in den Adern.
Im Hauser-Prospekt würde lapidar stehen: FMA o.F. (18 T)

Ich mache mir Sorgen wegen meiner Ausrüstung. Schließlich bin ich auf eine solche Exkursion nicht vorbereitet. Nur ein Paar Universalschuhe, wird das reichen? Der Reiseleiter fragt mich, ob ich schon mal an einer Trekkingtour teilgenommen hätte.
“Nö, kann ja nicht so schwer sein.”
Besorgt runzelt er die Stirn.
Verdammt!

Dann geht es los. Besichtigung der interessanten Höhlen und Klosteranlage Davit Gareja. Spektakulär auf einer Höhe an der Grenze von Georgien und Aserbaidschan gelegen, sehenswert. Das Gepäck im Bus, man trägt nur , sofern vorhanden, seinen Tagesrucksack mit Wasser, Fotoapparat und was man sonst so für zwei Stunden benötigt. Höflich fragt der Reiseleiter, ob er jemandem den Rucksack abnehmen soll. Sofort meldet sich G2 aus B. Und ich dachte immer, Sportler tragen ihre Sachen selbst. Erste Zweifel.

Dann folgt ein echtes Highlight der Tour. Wir fahren mit vierradgetriebenen Autos in die Berge nach Tuschetien. Anschließend wandern wir fünf Tage durch unberührte Natur. Wir zelten wild. Keinerlei Zivilisationsgeräusche, kein Motor, kein Handy, nicht mal Kondensstreifen am Himmel. Hätte nicht gedacht, dass es das auf unserem Planeten überhaupt noch irgendwo gibt. Unser Gepäck wird von Pferden getragen. Das Wetter ist wechselhaft. Ich mag das, so ist die Natur. Für die Touris ist es ein Problem. Andauernd ziehen sie sich an und aus. Mal ist es zu warm, mal zu kalt. Sobald Regentropfen fallen, ziehen sie ihre Regenklamotten an, um sie kurz danach wieder auszuziehen. Wenn wir Pause machen, holen alle ihre Sitzkissen raus. Bloß nicht die Komfortzone verlassen. Dann die ersten Flussquerungen. Das Gepäck ist auf den Pferden verstaut und die müssen nun durchs Wasser. Jetzt kommt eine weitere Eigenschaft meiner Mitreisenden zum Vorschein. Sie machen sich ständig Sorgen. Kommt das Gepäck heile rüber, wird es auch nicht nass? Natürlich wird es nass, denn die riesigen vollgepackten Hauser-Reklame-Taschen (z.T. mit Rollen!), mit denen die meisten unterwegs sind, sind leider nicht wasserdicht. Warum eigentlich nicht, fragt man sich.
Nach Tuschetien geht es in die zweite Wanderregion unserer Tour, nämlich nach Kazbegi. Hier wird nicht viel gewandert. Wir fahren lange Strecken mit Geländewagen und mit dem Bus. Nun zeigt sich eine weitere interessante Vorliebe von Touristen. Sie lieben es, Trinkgelder zu verteilen. Jeder, der auch nur die kleinste Handreichung für sie übernommen hat, wird bedacht. Ganz oben auf der Trinkgeldliste stehen Bus- und Jeepfahrer, Pferdeführer und Reiseleiter. Dabei ist ulkigerweise nicht ausschlaggebend, ob der Bedachte eine gute Leistung erbracht hat. Der Busfahrer, der früh nach Hause wollte und uns dadurch um eine Sehenswürdigkeit gebracht hat, wird genauso üppig mit Trinkgeld versorgt, wie die Trekkingführer, die unseren Müll entgegen ihrer Zusage, nicht wieder mit zurück nach Tiflis nahmen, sondern einfach auf wilden Müllhaufen in den Bergen entsorgten. Meine Einwände, dass Trinkgeld kein Ersatz für Lohn, sondern Anerkennung für eine gute, um nicht zu sagen außergewöhnlich gute Leistung ist, stoßen auf taube Ohren. Und wenn sie nicht wissen, wieviel Trinkgeld angemessen ist, schauen sie in den Reiseunterlagen von Hauser nach. Dort steht, man soll mit 80 Euro Trinkgeld rechnen. Dann kalkulieren sie, dass wir zu zwölft sind und somit insgesamt 960 Euro Trinkgeld unter die Leute muss. Und das in Georgien!

Unsere dritte Etappe führt uns ins schöne Swanetien in West-Georgien. Wir übernachten in sehr einfachen Unterkünften bei ganz lieben Familien, in kleinen Gasthäusern und zweimal im Zelt. Die Gegend ist toll, das Wetter wechselhaft. Zum Schluss regnet es auch mal richtig. Das mögen sie überhaupt nicht. Regen im Urlaub. Die Stimmung sinkt auf den Nullpunkt. Am letzten Tag will die Hälfte der Gruppe gar nicht mehr laufen, sondern lässt sich per Bus chauffieren. Wozu haben sie eigentlich die tollen Regenklamotten, frage ich mich. Und hallo, wir sind hier in den Bergen, im Großen Kaukasus und nicht auf Gran Canaria. Die Stimmung ist nicht mehr zu retten. Gut, dass jetzt noch ein Tag Sightseeing und Relaxen in Batumi ansteht, bevor es zurück nach Tiflis geht.

Dort verabschiede ich mich nachts im Hotel von meiner Trekkinggruppe.
Sie fliegen zurück nach München
Ob sie wohl, wie viele Touristen, bei der Landung klatschen werden?
Nein, bestimmt nicht.
Sie sind welterfahren, das ist ihnen zu billig.
Sie geben dem Piloten Trinkgeld!