¡Buen Camino!

Santiago de Compostela

2654 km

Die alte Frau, die am offenen Fenster das Treiben auf der Straße beobachtet, sagt es, der Jogger auf der Strandpromenade, der Raucher vor der Bar, Passanten, sämtliche Mitarbeiter in Pensionen und Restaurants. Alle wünschen einen “Guten Weg”. Und so wie es gesagt wird, klingt es ganz anders als ¡Hola!, ¡Buenos días! oder ¡Buenas tardes!. Es hört sich viel herzlicher an, so als wenn jeder wüsste, welche Strapazen der Pilger schon hinter sich und welche er noch vor sich hat.
Ja, ich bin auf der vielleicht bekanntesten Pilgerroute, dem “Camino de Santiago” unterwegs und zwar auf dem ursprünglichen Weg “Camino de la costa”. Erst als im 11. Jahrhundert die islamischen Mauren weit genug nach Süden abgedrängt worden waren, wurde der heute meist begangene “Camino francés” angelegt. Er führt nicht durch die Berge und ist daher weniger anstrengend. Außerdem ist dort das Wetter besser.

Vor Castro-Urdiales treffe ich Sigi. Er steht am Straßenrand und winkt, weiss nicht, wo es weitergeht. Sein Wanderführer behauptet, hier in Kantabrien sei die Ausschilderung viel besser als im Baskenland. Alles Quatsch, er regt sich etwas auf.
Das wird mir auf meiner weiteren Fahrt noch einige Male passieren. Verzweifelte Pilger, die die Orientierung verloren haben und winkend am Wegesrand stehen. Ich kann immer helfen, denn ich habe auf meinem Handy sowohl den Track für die Wanderer, als auch meinen, der meist auf Straßen verläuft. Manchmal ist es aber auch trickreich, dann gibt es für Wanderer zwei Varianten, eine kurze weniger schöne Route die Straße entlang und eine längere durch die Natur. Entsprechendes -nur andersherum- gibt es für die Radler, schön auf der Straße oder etwas qualvoller durch die Prärie.
Und so steht Sigi etwas unentspannt vor einer dieser schwierigen Situationen, weil ein Camino-Wegweiser nach links und direkt daneben einer nach rechts zeigt. Die freundliche Omi, die es sich im Haus hinter uns im zweiten Stock im Fenster bequem gemacht und sich alles in schönster Seelenruhe angeschaut hat, wischt nur einmal mit dem Zeigefinger nach links, sagt “largo” (lang), dann nach rechts “corto” (kurz). Damit ist die Sache klar. Sigi wählt kurz, also Straße, 3 km bergauf, meine Route.
Wir gehen die halbe Stunde zusammen. Sigi ist 68 Jahre alt, hat einen deutlich sächsischen Akzent und lebt seit 1984 in Würzburg. Als höflicher Mensch sage ich, dass man ihm sein Alter aber nicht ansieht. Daraufhin er: “Ich habe mein Leben lang gesoffen und geraucht. Kann also wirklich nichts dafür. Muss an den Genen liegen.” Erwartet man jetzt so nicht gerade von einem Pilger…
Er ist den Camino francés schon mal gelaufen, war ein Spaziergang verglichen mit dem hier. Wann immer möglich, übernachtet er in einer Pilger-Herberge, schon allein aus finanziellen Gründen. Letzte Nacht war er in einem Schlafraum mit 40 Betten! Unangenehmer als die vielfältigen nächtlichen Geräusche und Gerüche ist aber, dass man penibel auf seine Sachen aufpassen muss. Manche Zeitgenossen stehen schon morgens um halb sechs auf und packen im Dunkeln ihre Sachen zusammen. Da greift man in der Enge schon mal daneben. Vorgestern war plötzlich sein Handy weg. Er hat es rechtzeitig gemerkt, ist rausgelaufen und hat seinen Schlafnachbarn gerade noch am Ausgang erwischt. Der greift in seine Tasche und holt das Telefon raus. Uups, keine böse Absicht. Reine Schusseligkeit. Den Regenschutz für seinen Rucksack, eigentlich gut in einem Netz verstaut, konnte er bei einem anderen Mal nicht mehr retten. Am besten man packt alles in seinen Schlafsack, sagt er. Na dann gute Nacht denke ich und bin für einen Moment froh, dass ich nicht massenunterkunftskompatibel bin. Dann entdeckt Sigi an einer Leitplanke einen dieser kleinen gelben Pfeile, Wegweiser, die Nicht-Pilger überhaupt nicht wahrnehmen und unsere Wege trennen sich. ¡Buen Camino!

Beim Warten auf die Fähre nach Santander komme ich mit den nächsten Pilgern ins Gespräch. Astrid, Klausi, Jana und Elfi, eine entspannte, gut gelaunte Gruppe. Auch sie sind, wie die meisten Pilger des Jakobsweges, in Irun gestartet, der Grenzstadt zu Frankreich, durch die ich ja auch gekommen bin. Sie fragen mich, ob ich auch pilgere. Ich fahre zwar den Jakobsweg, bin aber kein Pilger. „Das war ich erst auch nicht“, sagt Klausi, „jetzt aber schon.“ Ich bewundere ihre Leistung. Bei diesem Wetter durch tiefen Matsch oder entlang viel befahrener Straßen, die Berge rauf und runter. Sie meinen, mit dem Fahrrad muss das doch noch viel schwieriger sein. Das glaube ich kaum, da ich ja mehr auf der Straße fahre. Es zeigt aber, dass der gegenseitige Respekt für die erbrachte Leistung groß ist.
Sie übernachten auch in den Pilgerherbergen, haben noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Klausi genießt die abentlichen 3-Gänge-Menus in der Gruppe. Das hat er sich früher gar nicht vorstellen können. Überhaupt scheint das gemeinsame Erleben für alle die schönste Erfahrung zu sein. Man geht ein Stück zusammen, dann wieder allein, dann zu zweit, dann mal zu viert. Man trifft nach mehreren Tagen alte Bekannte wieder, es bilden sich Grüppchen, lösen sich wieder auf, Freundschaften entstehen. Über einen Monat oder länger geht das so. Eine tolle Erfahrung für die meisten.
Wieviel kostet eine Übernachtung in der Pilgerherberge? Sehr unterschiedlich, manchmal 10€ für den Schlafplatz, 10€ für das immer sehr reichhaltige Menu, 5€ für das Frühstück. Manchmal ist es billiger, manchmal kostet es gar nichts, sondern jeder spendet, so viel er möchte oder kann. Früher war es überall so. Nach der entspannten Fährfahrt trennen sich unsere Wege.

Einige Tage später nehme ich mal dankend die Hilfe netter Pilger in Anspruch. Nicht, dass ich mich verfahren hätte, aber ich war wohl etwas zu optimistisch. Das kleine Dorf zu idyllisch, die Bucht zu schön, da dachte ich, nehme ich doch mal den Wanderweg. Keine gute Idee. Erst war es unheimlich steil und eng, an Radeln war nicht zu denken. Dann wurde es so knöcheltief matschig, dass alle Pilger den Weg verlassen haben und auf die angrenzende hochbewachsene Wiese ausgewichen sind. Das habe ich dann auch machen müssen. Dumm nur, dass dort so manche Hindernisse lauerten, zum Beispiel unter Strom gesetzte Weidezäune und hoher Stacheldraht. Alles nicht so leicht zu überwinden für einen vollbepackten Tourenradler. Irgendwann ging dann nichts mehr. Da kamen drei hilfsbereite französische Pilger des Weges. Also die Packtaschen abgenommen und das Fahrrad alle zusammen über den Stacheldraht gehievt. Fertig.

So habe ich denn auf meiner Tour überall die Pilger als freundliche und gesellige Menschen kennengelernt. Eine schöne Zeit. Ihnen allen wünsche ich von Herzen einen

„¡Buen Camino!“

(Mit Betonung auf dem „o“.)

Was wehet so spät bei Nacht im Wind?

Gibt es mal keinen Campingplatz in der Nähe oder das Wetter ist einfach zu nass zum Zelten, suche ich mir eine feste Unterkunft. Dabei bevorzuge ich einfachste Herbergen. Ganz unten in der Übernachtungsskala sind natürlich Mehrbettzimmer, gerne in einem Hostel. Seit ich aber mal in Armenien wegen meiner (angeblich!) ausgeprägten nächtlichen Geräuschentwicklung aus einem solchen Zimmer ausquartiert wurde, meide ich mit Rücksicht auf meine Mitschlafenden diese Unterkünfte.
Seitdem ist auf meinen Solo-Radtouren ein Einzelzimmer ohne Bad das bevorzugte Nachtquartier. Ich weiß, nicht Jedermanns Sache (und daher gibt es sie ja auch kaum noch), aber der Abenteuerfaktor ist einfach am höchsten.
So auch in San Sebastian. Online buche ich ein good old fashioned Einzelzimmer, Bad auf dem Flur, beste Innenstadtlage, billig dazu. Nur finden kann ich es erst gar nicht. An der angegebenen Adresse ein schönes großes Mehrfamilienhaus, eine Plaza davor, aber kein Hinweisschild, nichts. Ich frage in einer Bar. Der nette Wirt führt mich zu dem Klingelschild des Hauses. Von den x namenlosen Klingelknöpfen hat einer ein “P” angeklebt, dort ist es. Später erfahre ich, dass hier in Spanien nie Namensschildern an den Klingeln sind. Bei einem Mehrfamilienhaus wird die Etage angegeben, sowie ob die Wohnung dort z.B. links oder rechts liegt. Man muss also immer ganz genau wissen, wo jemand wohnt, um richtig zu klingeln. Das “P” ist schon das Höchste aller Gefühle.
Die Pension ist im dritten Stock. Ich klingel und werde abgeholt von einem jungen Mann im Studentenalter. Er heißt Mikel.
Das Zimmer ist schön, sogar mit einem kleinen Balkon. Es gibt einen Gemeinschaftsraum mit Küche. Hier kann man sich, wann immer man will, mit bereitgestellten Getränken, Kaffee und Kuchen versorgen. Der Raum hat einen kleinen Vorbau, wie ein Mini-Wintergarten in luftiger Höhe. Alles in allem ein sehr schönes Ambiente.
Ich komme mit Mikel ins Gespräch, er gibt mir Tipps für San Sebastian, ich frage ihn nach Details der Pension. Sie hat nur drei Gästezimmer (zwei davon mit Bad), belegt die halbe 3. Etage diese typischen Wohnhauses. Da will ich natürlich Genaueres wissen und das wird sehr interessant. Das Haus wurde um 1900 gebaut und die Pension ist die ehemalige Wohnung seiner Großmutter, die hier gelebt hat. Hier wurde der Vater geboren und an diesem Tisch, an dem wir gerade sitzen, hat Mikel als kleiner Junge mit seiner Oma Karten gespielt. Er hat noch ein Zimmer hier, neben meinem. Wie cool ist das denn? Zuhause in der Wohnung einer alten baskischen Familie. Mikel spricht natürlich baskisch und spanisch, aber in der Familie oder mit Freunden nur baskisch. Bei Unbekannten startet er mit baskisch und schaltet um auf spanisch, wenn nötig.
Und in der Schule? Man kann wählen, ob man auf eine Schule möchte, in der auf baskisch oder spanisch unterrichtet wird. 80% sind baskisch, 20% spanisch. In jedem Fall wird auch die jeweils andere Sprache gelehrt.
Nun aber genug gelernt für heute.
Auf mich wartet noch ein weiteres Highlight. Nein, diesmal nichts Kulinarisches oder Kulturelles. Ich muss noch Wäsche waschen, tägliches Ritual des Tourenradlers. Aber heute gibt es was Besonderes, wovon ich nicht geglaubt habe, dass es mir mal vergönnt sein würde. Man kennt das von den schönsten Urlaubsfotos aus Italien, Spanien oder Südfrankreich. Frischgewaschene Wäsche trocknet in luftiger Höhe über Straßen und Gassen. Heute ist meine mal dran. Schließlich habe ich einen Balkon mit hier obligatorischen Wäscheleinen längs des Geländers. Gar nicht so leicht, die Klamotten da aufzuhängen. Erstmal sollte man schwindelfrei sein. Sich im dritten Stock über die Balkonbrüstung zu beugen ist nicht jedermanns Sache. Dann muss man eine sichere Hand haben, denn wer will schon von dort oben sein Unterhemd oder Wäscheklammern auf die Köpfe der Passanten runtersegeln sehen?
Aber alles unfallfrei abgelaufen.
Und Goethe, was sagst Du nun?

„Es ist Andis Wäsche, Menschenskind!“

Von Höhlenmalern und Hippies

Es gibt viele Gründe, an die Ardèche zu reisen – den mal wilden, mal idyllischen und manchmal vor lauter Kanus kaum zu sehenden Fluss Ardèche, die atemberaubende Landschaft z.B. mit dem Pont d‘Arc (siehe 11. Mai), die pittoresken Dörfer und Städtchen – und natürlich die Caverne du Pont d‘Arc, den beeindruckenden Nachbau der Grotte Chauvet: Die Malereien in dieser Höhle nahe dem Pont d’Arc gehören zu den frühesten Kunstwerken überhaupt, geschaffen von Menschen des Aurignacien vor rund 36.000 Jahren.

Damit wir Touris nicht versehentlich oder aus tumbem Vandalismus zerstören, was die zugeschüttete Höhle über Jahrtausende bis zu ihrer Wiederentdeckung 1994 bewahrt hat, gibt es seit 2014 in einem felsähnlichen Gebäude den Nachbau, den Andi und ich heute besichtigen. Schon die Anfahrt ist spektakulär, über eine Serpentinenstraße hinauf auf einen Hügel mit weitem Blick über das Tal der Ardèche. Eine Führung hatten wir vorab gebucht, denn der Andrang ist groß. Unsere Tour dauert ca. 1 Stunde, die viel zu schnell vergeht, Zeit zum Verweilen und Staunen bleibt kaum. Und leider ist unsere Guide wohl eher eine Praktikantin, die an uns ihre erste englischsprachige Führung geprobt hat: Gezeigt hat sie uns Vieles, aber dazu nur wenig erläutert, einiges war einfach nur „magic“.

Nach Ende der Führung gegen Mittag bevölkern die Franzosen wie üblich speisend und angeregt schwatzend die Restaurants. Wir passen uns diesem lokalen Brauch an und finden in dem nahegelegenen „village caractère“ Balazuc ein nettes Restaurant mit Terrasse, das anscheinend von Nachfahren der Hippie-Aussteiger geführt wird, die es in den 1970er Jahren nach Südfrankreich zog. Wir bestellen Criques, eine specialité ardèchoise bestehend aus einem zusammengeklappten Riesenreibekuchen mit Füllung. Im nächsten Charakter-Dorf, Beaume, gibt es dann neben diversem Kunstgewerbe und durch die Straße ziehendem Räucherstäbchenduft sogar ein Kinderkarussel, dass zu Psychedelic- und Reggaeklängen anstatt zu dem ansonsten üblichen Orgelgedudel seine Runden dreht.

Atomkraft? Ja der Franzose, der weiß wie es geht.

Früher war ich Atomkraftgegner.
Jetzt nicht mehr.
Die Franzosen haben mir gezeigt, wie man’s richtig macht.
Das hat mich überzeugt.

Zu meiner Entschuldigung, die Vorgeschichte.
Es war das Jahr 1975, als wir ein Atomkraftwerk besuchten. Wir, das ist der Leistungskurs Physik des Goethe Gymnasium in Bochum. Es war gerade Teilchenphysik dran und wir hatten gelernt, wie Kernspaltung funktioniert, wie dadurch nukleare Strahlung entsteht und was für Auswirkungen diese haben kann. Atombombe kannte ja jeder, aber das auch der Atommüll aus den Kernkraftwerken hunderttausende von Jahren gefährlich strahlt und daher extrem gefährlich ist, das lernten wir erst jetzt. Zu unserem Erstaunen kippten zu Beginn des Atomzeitalters die Amis ihren strahlenden Müll noch ins Meer oder verbuddelten ihn in der Wüste. Schnell haben sie gemerkt, dass das keine so gute Idee war.
Anfängerfehler.
Kann schon mal passieren.
Nun wollten wir aber wissen, wie unsere gute deutsche Atomindustrie das Müllproblem gelöst hat. Unser Lehrer, kein Sponti, 68-er, oder sowas, immer mit Anzug und Krawatte, ganz alte Schule also, organisierte den Besuch. Und wie immer bei solchen Besichtigungen von Nuklearanlagen, bekommt man von dem Kernkraftwerk rein gar nichts zu sehen. Es gibt einen Show Room mit einen aalglatten Strahlemann. Der hält einen Vortrag, das war’s.
Danke für den Besuch. Noch Fragen? Keine. Auf Wiedersehen.
“Halt. Stop. Eine Frage hätten wir. Was passiert mit dem Atommüll?”
Die Antwort, deutlich, lässt keine Frage offen.
Mister Aalglatt antwortet (im übertragenen Sinne): “Mein Porsche hat 300 PS und macht 280 Sachen. Was hinten aus dem Auspuff rauskommt ist mir egal.”
Von einer auf die andere Sekunde gab es in Deutschland 30 neue Atomkraftgegner.
Tja und heute muss ich Abbitte leisten. Damals dachten wir noch, was für ein arroganter Proll, heute wissen wir, der Mann war ein Visionär! Denn 42 Jahre nach diesem denkwürdigen Besuch ist im letzten Jahr die Atomindustrie die Verantwortung für den Atommüll an die Bundesregierung losgeworden. Das wußte der Kerl damals schon. Chapeau!
Aber wie haben die das geschafft? Wie so häufig im Leben sind die einfachsten Dinge manchmal die genialsten. Die Jungs von EON und Co spalten einfach ihre Firmen auf in “Alte Kameraden” und “Junge Kameraden”. Dann gehen sie zu Mutti und sagen
“Mutti, du weißt ja, unsere alten Kameraden haben nicht mehr lange. Und sie haben nur wenig in ihre Rente gesteckt. Also das mit dem Atommüll, das schaffen die auf ihre alten Tage nicht mehr. Die ganzen Subventionen sind weg, die Gewinne schon verteilt und den jungen Kameraden können wir das unmöglich aufbürden.”
Und Mutti sagt: “Wenn eins in Deutschland sicher ist, dann ist es die Rente.”
Und so übernimmt die Bundesregierung für einen kleinen Bruchteil dessen, was die Atomindustrie an Subventionen bekommen hat (von den Gewinnen ganz zu schweigen) den gesamten vorhandenen und in Zukunft noch entstehenden Atommüll.
Die smarten Jungs der Industrie hätten natürlich noch lieber den Müll billig an einen zuverlässigen ausländischen Entsorger abgegeben. Da ist aber ein Gesetz vor, das den Export von Atommüll untersagt.
Nun aber, da das Zeug uns, also uns allen gehört, sollte man diese unsinnige Selbstbeschränkung doch noch mal überdenken. Warum ausgerechnet in unserer schönen, dichtbesiedelten Heimat das gefährliche Zeug verbuddeln? Da gibt es auf der Welt doch viel besser geeignete Plätze. In der ehemaligen Sowjetunion sind einige Gegenden schon so verstrahlt, da fällt das bißchen deutscher Müll kaum auf. Oder in Tschernobyl, da bauen sie doch gerade diesen Sarkophag für das explodierte Atomkraftwerk (dumme Sache das), da passen bestimmt noch ein paar tausend Tönnchen von unserem Zeug drunter. Oder in Fukushima, wo sich gerade die außer Kontrolle geratenen Brennstäbe in den Boden schmelzen (auch nicht schön), da könnten wir doch flugs noch etwas Atommüll zukippen, dann schmilzt der auch gleich mit weg.
Also das Entsorgungsproblem kann somit ja wohl als gelöst betrachtet werden.
Bleibt immer noch die sprichwörtliche “German Angst” vor irgendeinem Atomunfall. Diese ist natürlich völlig unbegründet, denn schon der Belgier zeigt uns ja, dass man selbst ein Kernkraftwerk mit tausenden Rissen in der Hülle des Reaktorbehälters vollkommen sicher betreiben kann.
Und trotzdem haben sich unsere fürsorglichen Atomstromerzeuger weiterhin intensiv bemüht, jedes auch noch so kleine Risiko abzusichern. So standen sie beim netten Herrn Kaiser von der Hamburg-Mannheimer auf der Matte.
“Sag mal Kaiser, Du kannst doch unsere Atomkraftwerke versichern, oder?”
“Ne”, sagt der. “Wenn da mal was passiert, lieber nicht. Und überhaupt, die Prämie wäre ja so hoch, da würde Euer schöner Atomstrom so teuer, den kauft ja dann keiner mehr.”
“Haste recht Kaiser, war ja eigentlich auch ne dumme Frage.”
Und der Kaiser dann: “Wenn wirklich mal was passiert, dann findet sich schon Einer, der zahlt.”
„Stimmt auch wieder.“
Und so stehen weltweit alle Atomkraftwerke unversichert in der Gegend rum.
Weltweit?
Nein, ein unbeugsames, kleines Land, Gallien genannt, hat eine Lösung gefunden.
Wenn schon die störrischen Versicherer zu feige sind, dann holen wir uns halt den Schutz von oben. Und wenn ich oben sage, dann meine ich auch oben. Und zwar ganz, ganz oben.
Ein Schutzpatron, ein echter Heiliger muss her. Und so fand man nach langer Suche Saint Alban. Flugs wurde ein Kernkraftwerk nach ihm benannt, jetzt kann nichts mehr schief gehen. Wie stolz wäre der Heilige Alban, wenn er wüsste, dass er heute für so ein Wunderwerk der Technik Pate stehen dürfte.
Ulkigerweise wurde der (damals noch Heilige-in-spe) Alban um das Jahr 406 von Mainz nach Gallien geschickt, also genau meine Route. Wenn das mal kein Zufall ist.
Sankt Alban gilt als Schutzpatron für alles Mögliche, z.B. Harnwegserkrankungen. Nun wird der Ein- oder Andere einwenden, dass derlei Fähigkeiten keine ausreichende Qualifikation für den Schutz eines Atomkraftwerkes seien.
Ja Moment, damals im 5. Jahrhundert endeten solche Krankheiten gerne tödlich. Heutzutage gibt es was von Ratiopharm dagegen.
Es ist also an der Zeit, der Liste der Schutzfähigkeiten verdienter Heiliger einen Update zu verpassen. Und mit Updates kennen wir uns ja aus, siehe Diesel…, ne schlechtes Beispiel.
Egal, hier meine Vorschläge für Schutzpatron Sankt Alban reloaded:

Mainz
Tut mir leid ihr Mainzer, aber ihr habt ja noch nicht mal ein Kernkraftwerk. Sucht Euch einen neuen Patron.
Updaten auf Fukushima, Tschernobyl, ja eigentlich alle AKW- Standorte.

Bauern
Ihr Bauern habt genug Schutzpatrone. Besser in diesem Falle Ingenieure, Techniker und ganz wichtig ihre totale Unfehlbarkeit.

Unwetter
Dürre, Überschwemmungen, Erdbeben ok, aber unbedingt erweitern auf Flugzeugabstürze und was sonst noch alles vom Himmel fallen kann.

Pest
Die Pest von heute, Terroranschläge, Hackerangriffe, die ganze Achse des Bösen. Ja und Viren, alle Arten von Viren.

Epilepsie
Kriegt ein Atomkraftwerk nicht. Ersetzen durch Explosionen innen und außen.

Hals- und Kopfschmerzen
Das passt schon, aber ergänzen um Schilddrüsenkrebs, Leukämie. Ach wenn schon, dann alle Krebsarten.

Harnweg
Kann so bleiben. Das ist beim AKW der Kühlkreislauf und der ist ganz wichtig.

Nach so einem Update kann wirklich nichts mehr passieren!
100 Prozent!

Und für Deutschland?
Man könnte meinen Schutzpatronen nehmen. Apostel Andreas. Näher oben dran geht ja gar nicht. Und der ist echt gut, der kann auch Kernkraft.
Es müssen aber nicht immer A-Promi-Heilige sein. Für uns reichen vielleicht auch schon C-Promi-Möchtegern-Heilige. Zum Beispiel könnten wir Atomkraftwerke wie Brokdorf, Biblis und Grundremmingen umbennen in:

Heilige Jungfrau Angela (geht bald vom Netz …)

Sankt Sigmar (bereits abgeschaltet …)

Heiliger Helmut (überstrahlt alles …)

Ok, ok, ich hör ja schon auf.
Aber ein schönes Gefühl, wenn alles in guten Händen ist.

Der Schweizer Jura oder das Beste aus zwei Welten.

Nyon, Schweiz

13. Reisetag

692 km

Man befindet sich in der Schweiz, das merkt man sofort. Alles funktioniert, überall ist es aufgeräumt, die Wege und Straßen fast immer perfekt. Dazu diese abwechslungsreiche Landschaft, die herrliche Natur, Berge, Seen, spektakuläre Aussichten, die kleinen Dörfer, manche mittelalterlich. Man kann sich gar nicht satt sehen.
Das ist die eine Seite des Jura. Und gratis dazu gibt es die andere, die französische Seite. An erster Stelle natürlich die außergewöhnlich gute Küche und ein für uns ungewohntes, aber sehr sympatisches Verhalten beim Betreten eines Restaurants. Man begrüßt die bereits anwesenden Gäste, auch wenn man sie gar nicht kennt. Alle sind überaus höflich. Und obwohl es ja eine offizielle Amtssprache ist, sprechen sie so gut wie kein Deutsch hier. Ganz wie in Frankreich eben.
Immer wieder schön auch, wenn man unterwegs Produkten begegnet, die hier hergestellt werden und die man zuhause seit langer Zeit schätzt.
„Ach, hier kommen die her“, denkt man sich dann verwundert. So zum Beispiel, als ich am Mont d‘Or entlang fahre und kleine Käsereien sehe, die den Vacherin Mont d‘Or herstellen, einen Käse, den wir in der kalten Jahreszeit gerne essen. Er kommt hier aus dem Jura, wird nur im Winter bis März produziert und nur bis April verkauft.
Überraschend war für mich auch die Begegnung mit der Schweizer Uhrenindustrie, die im Jura sehr präsent ist. Durch das Aufkommen der elektronischen Uhren wurden natürlich die Hersteller mechanischer Uhren sehr in Mitleidenschaft gezogen. Allerdings machen die Unternehmen, die überlebt haben, einen äußerst prosperierenden Eindruck. Viele Neubauten und prestigeträchtige Firmensitze zeugen davon. Manche bauen sogar sehr futuristisch anmutende eigene Museen. Der Markt für hochwertige, mechanische Uhren scheint regelrecht zu boomen.
Muss meine auch mal wieder tragen …
Aber wie immer bei so einer Fahrradtour, bei der man ja den ganzen Tag draußen verbringt, sind für mich wieder mal die Menschen das Interessanteste unterwegs.
Alte Mütterchen sitzen auf Bänken vor den Häusern und grüßen freundlich Jeden, der vorbeikommt.
Jugendliche fahren auf Mofas durch die Gegend, überwiegend mit Puch Maxis, von denen ich auch eine als 15-Jähriger hatte. Eine steht noch in meiner Garage, eine liegt zerlegt im Keller.
Andere Radfahrer rufen mir bei der Kurbelei am Berg aufmunternd zu „Bravo! C‘est tres courageux.“ oder „Encore deux-cents metre.“
Abends essen sie so komische Sachen wie Schweinsfüße (keine Haxe! Details erspare ich mir) und trinken Absinth, den es überall gibt und der offensichtlich auch so eine Spezialität aus dem Jura ist.
Alles in Allem, ein wirklich liebenswertes Völkchen auf einem schönen Fleckchen Erde.

„Alter, wo sind wir gelandet? Voll geil!“

Straßburg

4. Reisetag

262 km

Wer hätte gedacht, dass das mal unsere Jugend über unser Europäisches Parlament in Straßburg sagt.

Obwohl, es war nicht „über“, sondern „im“ Parlament.

Von vorne. Da das schöne Straßburg auf meinem Weg liegt, möchte ich natürlich auch eine große europäische Errungenschaft, nämlich das „Parlement européen.“ erkunden. Schon vor der Reise frage ich per Email nach einer Besuchsmöglichkeit. „Besichtigungen nur während der Sitzungswochen.“ heißt es kategorisch. Leider sind aber in der Zeit meines Aufenthaltes keine Sitzungen. Pech. Allerdings habe ich solchen pauschalen Absagen noch nie getraut, sie dienen eher meiner Motivation.
„Ich würde aber trotzdem gerne.“ schreibe ich zurück.
Funkstille.
Und als ich dann schon unterwegs bin, kommt tatsächlich noch eine sehr nette Email, dass ich mich heute um 12:00 Uhr einer deutschsprachigen Gruppenführung anschließen kann. Ganz, ganz wichtig: Ausweis mitbringen.
Rund um das Parlamentsgebäude ist einiges los. Jugendliche Gruppen italienischer, holländischer, schweizer, französischer und sonstiger Nationalität sind unterwegs. Aha, heute ist wohl internationaler Schulausflug, da ist dann auch klar, welcher Gruppe ich mich anschliessen darf.
Zuvor aber ist es gar nicht so leicht, überhaupt ins Gebäude zu kommen, denn erstens sind heute keine Einzelbesucher zugelassen und zweitens habe ich keine formgerechte Reservierung vorzuweisen. Die Sache ließe sich relativ leicht aufklären, da die Security bestens Englisch spricht. Da ich mich hier aber in Frankreich befinde und mich hartnäckig weigere Englisch zu sprechen, wird die Sache mit meinem Babbel-Französich für die bemühten Angestellten fast aussichtslos. Da wird ihnen unerwarteterweise Hilfe in Gestalt von Miri zuteil. Sie ist die sympatische junge Frau, mit der ich im Vorfeld die Emails ausgetauscht habe. Sie lotst mich rein, durch mehrere Security Checks und Kontrollen mit allerlei Problemen und Erklärungsbedarf, denn ich bin allein, habe kein Badge, kein Formular, nichts. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen, was ich Miri für ihr Entgegenkommen doch für einen Aufwand bereite. Erstaunlicherweise durchlaufe ich auf diese Weise sämtliche Schleusen, ohne auch nur ein einziges Mal meinen Ausweis vorgezeigt zu haben (aber bitte nicht weitersagen). Nachdem wir durch das halbe Areal von der Größe eines Flughafens gelaufen sind, treffen wir endlich auf meine bereits anwesende Gruppe. Es sind drei Berufsschulklassen mit sechs Lehrern und Lehrerinnen. Zusammen sind sie 49, ich bin Nummer 50.
Dann geht es los, die Gruppe einigermaßen still, Miri erhebt die Stimme.
Sie hat noch keine zwei Wörter gesprochen, da ruft ein Mädel:
“Sie spricht deutsch, geil!”
Freude im Publikum.
“Ohne Akzent!”
Wie einfach man unsere Schüler doch glücklich machen kann.
Der erste Tagesordungspunkt findet in einem runden Raum mit 50 Sitzen, in zwei Kreisen angeordnet, statt.
Miri kündigt an, dass wir einen Film über die Arbeit des europäischen Parlaments sehen werden.
Kollektives Stöhnen.
Dann eröffnet Miri, dass der Film in 360 Grad Technik gezeigt wird.
“Alter, wo sind wir gelandet? Voll geil!”, eine Reaktion aus dem Publikum.
Wie nah Verzweiflung und Glückseligkeit in der menschlichen Seele beeinander liegen, offenbart auch die nächste Frage:
“Den Film gibt es in einer kürzeren und einer etwas ausführlicheren Version. Welche wollt ihr sehen?”
“Kurz!” schallt es unisono durch den Saal.
Glücklicherweise fragt eine der Lehrerinnen, wie lang die beiden Filme denn seien.
“Achteinhalb und 13 Minuten.”
Lehrerin (diktatorisch): “Dann nehmen wir lang.”
Schülerin (erleichtert): „Oh Gott, ich hab schon gedacht, der dauert eineinhalb Stunden.“
Andi (nachdenklich): warum in aller Welt, bieten die überhaupt so eine Auswahl an?
Und so gäbe es noch endlos zu berichten und zu erforschen über die Spezies Schüler, z.B. warum sie ständig und immer Selfies und Selfie-Videos macht und dies wichtiger, als alles andere scheint.
Nach dem Film geht es im Programm nun mit der Besichtigung des riesigen Plenarsaales weiter. Wir haben Glück, denn wir können ihn bei der Arbeit beobachten. Es ist „Euroscuola“, eine Art Jugendparlament und alle Simultanübersetzer sind bei der Arbeit. Sehr interessant.
Zum Schluss noch einmal sammeln vor den aufgereihten Flaggen aller EU-Mitgliedsstaaten.
Miri fragt:“Wer hat aufgepasst, wieviel Mitgliedsstaaten hat die EU?“
Alle schauen betreten zu Boden.
Eine traut sich:“14?“
„Nein 28.“
Nun werden wir darauf hingewiesen, dass wir bei unserem Besuch noch ein historisches Foto machen können. In 2019 wird UK aus der EU ausgetreten sein und die Flagge entfernt werden. Noch kann man sie hier fotografieren.
Davon wird ausgiebig Gebrauch gemacht und zum Schluss stellen sich alle Berufsschüler zu einem Gruppenfoto vor den Flaggen auf.
Naiv, wie ich bin, mache ich auch ein Foto, so zum Andenken.
In diesem Augenblick kommt eine ältere Lehrerin auf mich zu und fragt mich, warum ich die Gruppe fotografiere.
„Ein Erinnerungsfoto“ erwidere ich.
„Aha, aber nicht, dass sie das ins Internet stellen.“
„Was glauben Sie denn, was Ihre wild um sich knipsenden und filmenden Schülerinnen und Schüler mit ihren Fotos machen? Zum Entwickeln bringen und dann ins Poesiealbum kleben?“
Aber ich kann ihre Befürchtungen zerstreuen.
“Ich veröffentliche nichts im Internet. Ich stelle alle Fotos ins Darknet, da kann sie niemand sehen.”
Das sage ich nicht wirklich, denn wahrscheinlich würde die besorgte Dame sofort zur Security laufen und dann, ja dann müßte ich womöglich wirklich noch meinen Ausweis vorzeigen!
Nein, das will ich nicht.

Danke Helmut!

Speyer

2. Reisetag

120 km

Was haben mein Namensvetter Altbundeskanzler Birne Kohl und ich gemein. Es ist nicht die Birne, soviel sei verraten.
Ich bin in Speyer und da fand Kohl ja am berühmten Dom seine letzte Ruhe. Und wo ich schon mal hier bin, möchte ich mir das Grab von Onkel Helmut natürlich nicht entgehen lassen.
Ich radle einmal um den kompletten Dom. Kein Grab. Kein Hinweis. Kann doch nicht sein. Was ist hier los?
Nun gibt es eigens für den Dom ein Informationsbüro. Da muss ich jetzt leider rein und die wahrscheinlich dööfste aller Touri-Fragen in Speyer stellen:
„Wo ist denn hier das Grab von unserem Altbundeskanzler?“
Die sehr freundliche junge Dame ist von meiner Frage gar nicht überrascht, ich aber von ihrer Antwort umso mehr.
„Oh, das ist ziemlich weit, ungefähr eine Stunde zu Fuß. Ah, Sie sind mit dem Fahrrad da, dann nur 15 Minuten.“
Also fahre ich hin und bin schon wieder überrascht. Erwartete ich doch Busse voll Touristen, einen Menschenauflauf.
Nichts. Totale Leere. Nichtmal Blumen hat jemand daneben gelegt, obwohl es extra eine Anweisung dazu vor dem Grab gibt.
Was hat doch dieser große Staatsmann alles für unser schönes Vaterland geleistet.
„Spendenaffäre, samt sämtlicher dazu gehörenden Rechtsbrüche?“
„Ja, schon.“
„Dubiose Waffengeschäfte?“
„OK.”
„Geldwäscheaffäre?“
„Ja auch, aber jetzt mal im Ernst.“
„Saumagen.“
„Riichtiig!“
Und auf diese Suche wollen wir uns jetzt mal begeben, denn es war das Leibgericht von Helmut Kohl und eine Pfälzer Spezialität. Ich selbst habe es noch nie gegessen und weiß auch gar nicht so recht, was es überhaupt ist.
Erste Anlaufstelle, das Touristenbüro. Die werden sich auskennen. Eine junge Dame bedient und ich stelle die zweit-dööfste Touri-Frage von Speyer:
„Was ist eigentlich Saumagen und wo kann man ihn hier gut essen?“
Sie antwortet:
“Hab ich als Kind gerne gegessen, aber jetzt lange nicht mehr.“
Diese Anwort ist noch recht konkret, nun wird es schwammiger:
„Ist irgendwas mit Hackfleisch und Kartoffeln, zusammen gekocht im Bauch eines Schweines.“
„Hört sich lecker an!“
„Gibt es aber nicht überall. Versuchen Sie es mal in der Dombrauerei.“
Die hatte ich auch schon im Visier, also gehe ich dahin.
Ich frage Kellnerin #1 nach Inhalt und Zubereitung und bekomme eine ähnlich fragwürdige Antwort, wie im Touribüro.
Dann kommt Kellnerin #2. Stämmig und in voller Pfälzer Tracht, die muss es wissen. Fortan erklärt sie mir mit feinstem holländischen Akzent sehr detailliert, dass Fleisch, Gewürze und Kartoffeln unter Druck zusammen gekocht werden, früher in einem Saumagen, heute aber nicht mehr. Das macht bereits der Metzger. Dieser liefert dann den Saumagen wie eine große Wurst an. Hier wird er dann in Scheiben geschnitten und anschließend gegrillt.
“Lekker, lekker!”
Nun bin ich endgültig überzeugt und möchte die volle Portion. Sie haben es aber nur als “Pfälzer Platte” zusammen mit Bratwurst.
“Lassen Sie einfach die Bratwurst weg und packen stattdessen mehr Saumagen drauf.”
Gesagt, getan.
Als Ergebnis bekomme ich zwei Scheiben Saumagen auf Sauerkraut.
Die Konsistenz überrascht mich dann doch. Die Kartoffelstückchen wie erwartet, aber das “Fleisch” hat eine sehr homogene Textur wie Leberkäse, gar nicht wie Hackfleisch. Es ist kräftig gewürzt und in Kombination mit Senf einigermaßen geniessbar. Mehr aber auch nicht.
Später dann fragt mich die Kellnerin, ob ich ein Dessert möchte. Aus gegebenem Anlass frage ich:
“Haben Sie irgendwas mit Birne?”
“Mit Birne? Leider nicht. Warum soll es denn unbedingt mit Birne sein?”
Die Antwort bringt mich in Erklärungsnot.
“Äh, hm, ja, es handelt sich um sowas wie eine Wette.”
“Ach so.”
Sie geht und kommt kurze Zeit später wieder.
“Mit Birne hätten wir was für die Verdauung.”
Würde zwar auch passen, aber ich möchte heute noch 70 km radeln. Besser nicht.
Ich entscheide mich für Tiramisu und erwarte im deutschen Dombrauhaus entsprechend Schreckliches. Überraschenderweise bekomme ich aber einen schön verzierten und im Weck-Glas servierten Nachtisch, der zudem noch sehr “lekker” schmeckt.
Da kann man schon mal sagen:
“Danke Helmut!”

Eine Bahnfahrt, die ist lustig. Eine Bahnfahrt, die ist lehrreich.

Mainz

1. Reisetag

0 Kilometer

 

Eigentlich hat die Reise ja noch gar nicht begonnen, aber interessant war es schon heute.

 

1. Etappe S-Bahn Ratingen – Köln
Reiseradler haben ganz offensichtlich Gemeinsamkeiten mit Hundehaltern. Man wird bereits von Weitem erkannt und kommt anschließend sofort miteinander ins Gespräch. So auch in der S-Bahn von Ratingen nach Köln. Ein Vater samt Familie (Frau und zwei Kinder) setzt sich zu mir und sagt -mit Blick auf mein Fahrrad- ohne Umschweife: „Damit kann man um die ganze Welt radeln.“ Es stellt sich heraus, daß er vor 20 Jahren mit einem Freund durch Nordspanien geradelt ist, also genau die Strecke, die ich auch vorhabe. Was für ein Zufall.
Sie kommen gerade aus der Sea World in Duisburg. Ein Besuch, der ihn offensichtlich stark beeindruckt hat, denn nun fängt er an, über die Schöpfungsgeschichte zu referieren. Diese Schönheit, diese Farben und Lebensformen, die Anmut, ja auch die Gefühle, die Gedanken und natürlich die Liebe, das alles soll nur aus dem Lebenserhaltungstrieb entstanden sein, wie die Evolutionstheoretiker behaupten? Nein, er glaubt an den Schöpfer. Ich freue mich, dass der Besuch in einem Aquarium solch philosophische und theologische Denkprozesse auslöst, halte mit meiner Meinung hierzu aber besser hinter dem Berg. Da ich aber nicht unhöflich erscheinen möchte, rufe ihm bei seinem Ausstieg in Leverkusen noch ein laut frohlockendes „Halleluja Bruder, halleluja!“ zu (nein, nur ganz leise und nur für mich …).

2. Etappe Köln HBF
Eine willkommende Unterhaltung der deutschen Bundesbahn ist das bei Fahrgästen stets beliebte Bäumchen-wechsel-dich-Spiel „Wagenstandsreihungänderungsansage“. Haben wir heute in Köln gespielt. Geht in der Basisversion so: bei Einfahrt des Zuges wird man per Lautsprecheransage informiert, dass die Wagen entgegen dem ausgehängten Wagenstandsanzeiger in umgekehrter Reihenfolge einfahren. Daraufhin ensteht ein lustiges Treiben, denn alle, die sich ganz vorne am Bahnsteig aufgestellt haben, müssen schnell nach hinten laufen und begegnen nun denen, die von ganz hinten nach ganz vorne laufen. Ein fröhliches Hallo, lauter lachende Gesichter, das Leben kann so schön sein.
Heute hat sich die Bahn dazu sogar noch etwas ganz Besonderes einfallen lassen.
Ich habe eine Reservierung für das Fahrradabteil im Wagen 3.
Der Wagenstandsanzeiger kennt aber nur die Wagen 5 bis 14, fünf soll vorne sein. Diese Kopfnuss ist aber leicht, denke ich bei mir. Haben sie heute zwei zusätzliche Wagen. Drei ist ganz vorne, da stelle ich mich hin. Der Zug fährt ein, die Wagenstandsreihungänderungsansage ertönt. Voller Vorfreude, gleich allen anderen Mitreisenden zu begegnen, will ich mich schon auf den Weg nach hinten machen. Da vernehme ich der Durchsage, dass die Reihenfolge der Wagen 4 bis 14 gedreht wurde. Ich habe 3, also bleibe ich, wo ich bin.
Der Zug kommt zum Stehen.
Vorne ist 14.
Der Zugbegleiter steigt aus: “Fahrradabteil ganz hinten.”
Mist, schon wieder verloren.
Immer gewinnt die Bahn.
Menno.

3. Etappe IC von Köln noch Mainz
Als ich das recht große Fahrradabteil des Intercity betrete, befindet sich dort lediglich ein verlassener Drahtesel und ein recht junges Pärchen mit einer kleinen Tochter. Diese ist gerade mitten im Krabbelalter und offensichtlich der Grund dafür, warum sich die Familie hier im geräumigen Abteil niedergelassen hat. Das alleinstehende Fahrrad gehört nicht zu ihnen. Der junge Vater hat mir beim Einladen meiner Klamotten geholfen und so verzichte auf meinen kostenpflichtig reservierten Sitzplatz im angrenzenden Großraumabteil und lasse mich ebenfalls auf einem der Klappsitze bei den Fahrrädern nieder. Die drei fahren bis Koblenz, dort steigen sie um. Sie sind sehr sympatisch und an allem interessiert. Entlang der Strecke ab Bonn bewundern sie die Burgen und Schlösser, kleinen Dörfchen, Fachwerkhäuser.
Dann fragen sie sich: “Welcher Fluss is’n das hier eigentlich?”
Ich will hier nicht den Besserwisser raushängen lassen, möchte, dass sie selber auf die Lösung kommen und antworte daher mit einer Gegenfrage: „Hm, weiß auch nicht. Vielleicht die Donau?“
„Sehr, sehr schön!“, die Reaktion.
„Ne, war nur Scheiß, das ist natürlich der Rhein.“, meine Antwort.
„Ach so.“, kommt es etwas verunsichert zurück.
Als der Ältere von uns, erwacht nun der Bildungsauftrag in mir:”Bei Koblenz mündet die Mosel in den Rhein.”
“Die Mooosel, ja ne is klaar.”
Dann murmelt er noch was von “die Erde ist eine Scheibe und die Renten sind sicher….”.
Spätestens jetzt ist mir klar geworden, dass aus mir kein Lehrer mehr wird.