Bauchgrummeln in der Türkei

Arhavi, Türkei

84. Reisetag

4527 Kilometer

Auf dem Weg von Zentral- nach Ost-Anatolien wird es bergig. Pässe von über 2000 m Höhe sind zu überwinden. Belohnt wird man durch schöne lange Abfahrten und herrliche Landschaften. Ich fahre durch verschiedene Anbaugebiete. Von Giresun am Schwarzen Meer kam die Kirsche erstmals über Italien nach Europa. Heute werden hier überwiegend Haselnüsse angebaut und damit 70% des Weltmarktes abgedeckt. In Rize bin ich dann im Hauptanbaugebiet für Tee in der Türkei.

Leider bekam ich irgendwann Bauchkrämpfe, sodass ich das alles gar nicht so recht geniessen konnte.

Diese sind fast sinnbildlich für meine Gefühle, die ich für dieses Land nach meinem fast siebenwöchigen Aufenthalt hege. Denn obwohl die Menschen hier weit überwiegend sehr herzlich und wirklich gastfreundlich sind, habe ich doch einiges Bauchgrummeln mit diesem Land. Als jemand, der Religionen eher kritisch gegenübersteht, beobachte ich mit Unbehagen, wenn eine Religion versucht, im Staat eine starke Position einzunehmen und bis ins Alltagsleben vorschreiben möchte, was man bzw. frau anzuziehen hat und was man essen oder trinken darf. Ich hoffe sehr, dass sich die offensichtlich vorhandenen konservativen Tendenzen in der Türkei nicht weiter Raum verschaffen.

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Sivas – so schön, so traurig

Sivas, Türkei

72. Reisetag

3932 Kilometer

Wenn ich schon mal am Sonntagabend den “Tatort” einschalte, gelingt es mir fast nie, ihn wirklich bis zum Ende anzuschauen. Die Geschichten oft haarsträubend, die Schauspielkunst maximal Mittelmaß.

Ich weiss nicht mehr, wie es bei diesem Tatort war, aber ich hörte das erste Mal den Namen der türkischen Stadt Sivas, lernte etwas über einen Konflikt zwischen Moslems und Aleviten, erfuhr von einem Brandanschlag. Leider alles real und nicht ausgedacht.

Was war passiert in Sivas? Im Juli 1993 versammelten sich nach dem Freitagsgebet ca. tausend radikale Islamisten vor dem Hotel Madimak, in dem Intellektuelle und Aleviten ein Kulturfestival abhielten, darunter auch der Verleger der “Satanischen Verse” in der Türkei. Die Menge setzte das Hotel in Brand, über 30 Menschen starben. Das Grauen war im Fernsehen zu verfolgen, das Verhalten von Stadtverwaltung, Polizei und Feuerwehr war, gelinde gesagt, zwielichtig.

Die Situation ähnelt sehr den Vorkommnissen im deutschen Hoyerswerda, wo 1991 ein aufgebrachter Mob Rechtsradikaler unter den Augen der Öffentlichkeit ein von Ausländern bewohntes Haus in Brand setzte. Nur durch sehr viel Glück waren hier keine Toten zu beklagen, aber die Rolle der öffentlichen Instanzen war ebenfalls recht fragwürdig. Das Wort “ausländerfrei” wurde das Unwort des Jahres in Deutschland.

Schlimm für beide Städte, dass ihre Namen nun für immer mit diesen beiden Ereignissen verbunden sein werden.

Für Sivas tut es mir besonders leid, denn es ist eine ausgesprochen schöne, lebhafte Universitätsstadt mit langer Tradition und einer jungen Bevölkerung. Und sie hat mittlerweile aus der Geschichte gelernt. Das ehemalige Hotel wurde inzwischen von der Stadt übernommen, umgebaut und eine Gedenkstätte darin eingerichtet. Jedes Jahr erinnern mittlerweile zig-tausende Demonstranten am Gedenktag an die schlimmen Ereignisse. Sehr gut.

Aber das ist in Hoyerswerda ja auch so, oder?

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Bye Bye Iran, Hello Aserbaidschan

Wegen der im Juni stattfindenden Präsidentschaftswahlen, ist zurzeit kein Visum zu akzeptablen Bedingungen für den Iran zu erhalten. Wenn überhaupt, werden maximal 14 Tage, und die auch nur mit einem teuren Aufseher, gewährt. Da lehne ich dankend ab. Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass es, wie beim letzten Mal, berechtigte Proteste oder auch Unruhen geben wird. Und da will man vielleicht nicht gerade im Land sein.

Meine Ausweichroute geht durch Aserbaidschan, dort von Baku per Flugzeug über das Kaspische Meer nach Tashkent, der Hauptstadt Usbekistans. Wie geplant, werde ich dann ca. 14 Tage durch Usbekistan radeln, Buchara und Samarkand besuchen, bevor es dann weiter nach Tadschikistan zum Pamir Highway geht.

Neben dem Iran verpasse ich somit auch Turkmenistan, lerne dafür aber mit Aserbaidschan ein Land kennen, dass ursprünglich nicht auf meiner Route war. Zudem kann ich drei zusätzliche Wochen in Georgien verbringen, die ich u.a. für eine Wander- und Trekkingtour im Großen Kaukasusgebirge verwende, dass ich sonst einfach links liegen gelassen hätte.

Kappadokien und die fotogenen Musliminnen Anatoliens

Kappadokien, Türkei

62. Reisetag

3658 Kilometer

Gaby /Gastautorin:
“Reisen heißt entdecken” – und dafür muss man sich auch auf Menschen und Situationen entlang der Reiseroute einlassen – ist aber gar nicht so einfach, denn so manches Mal halten vorgefasste Meinungen oder übertriebene political correctness uns davon ab.

So z.B im anatolischen Gülağaç, wo Andreas und ich zufällig am Markttag vorbeikommen – und was für ein Markt: Hier gibt es alles von Obst und Gemüse über Käse und Oliven, lebende Hühner, Saatgut und Setzlinge, Haushaltswaren, Textilien und Schuhe bis hin zu Simit und Çay zur Stärkung beim Shopping. Doch trotz all dieser Vielfalt und der vielen Marktbesucherinnen und -besucher, modern oder traditionell gekleidet, fallen wir Zwei ziemlich auf, denn wir sind die einzigen ‘Reisenden’, die an diesem Tag neugierig über den Markt schlendern. Und so erregen auch wir Neugier und freundliches Interesse – eine Mutter versucht gar ihr Kind mit Hinweis auf uns vom Weinen abzulenken. Hat das eigentlich geklappt, Andreas?
Als uns aber zwei Frauen fröhlich lachend ansprechen und Zeichen vor ihren Augen machen, bin ich ziemlich ratlos: Was meinen sie denn? – soll ich meine Sonnenbrille abnehmen? – nein, ich glaube, sie möchten gern fotografiert werden! Und das wäre wahrscheinlich ein schönes Foto geworden, hätte mich vielleicht auch dazustellen können, damit Andreas uns knippsen kann – WENN NICHT die innere Stimme gewarnt hätte: Soll ich so einfach zwei fremde Musliminnen fotografieren? Oder alternativ: Verlangen die zwei, wie das in so mancher Touri-Hochburg (die Gülağaç sicher nicht ist) passiert, danach ein Modelgehalt? Schade, eine verpasste Gelegenheit!

Andreas:
Sowas passiert. Oft weiß man eben auf die Schnelle gar nicht, wie man in einer ungewohnten Situation reagieren soll. Aber es ist ja Zeit genug, Verpasstes nachzuholen. Ich mache einfach mal die Probe aufs Exempel und fotografiere ein paar Musliminnen, natürlich nicht ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen.

Diese junge Frau traf ich in einer Medresse. Sie suchte mit ihrer Freundin offensichtlich einen Hut für ihre Abschlussfeier aus. Alles muss zusammenpassen: Hut, Talar und eben das Kopftuch. Als ich fragte, ob ich sie fotografieren darf, ging sie sofort in Pose, machte den Mantel zu, stellte sich kerzengerade ins Profil und legte ihr Lächeln auf. Zum Abschied sagte sie “Thank you!”.

 

Dieses Pärchen fiel mir auf, weil es in aller Öffentlichkeit schmuste. Sie schien sehr traurig und hatte ihren Kopf auf seine Schultern gelegt. Dazu die Rose in ihrer Hand. Sie unterhielten sich nicht. Steht vielleicht ein Abschied bevor? Aber auch sie lächelte, als ich sie fotografierte, obwohl man sieht, dass es ihr nicht leicht fällt.

 

 

Solche Grüppchen sah ich sehr oft in Sivas. Sie sind zwar sehr traditionell gekleidet, aber ihr Verhalten scheint sich von anderen Jugendlichen hier kaum zu unterscheiden. Ich fand es ulkig, als Eine ihrer Freundin zurief “give me five!” und die Hand zum Abklatschen hob. Sie freuten sich offensichtlich sehr, dass ich sie fotografierte.

 

 

 

In Sivas kann man wohl unter anderem Kunst studieren, denn an einem Tag gab es eine Ausstellung im Freien vor der Buruciye Medresse. Als Dress Code für die Studierenden wurde offensichtlich “unten schwarz, oben weiß” ausgegeben. Eine Studentin trug eine knallenge weiße Bluse, schwarze Leggins, schwarze High Heels mit richtig hohen Absätzen und ein schwarzes Kopftuch. Welch ein Kontrast. Das sehr körperbetonte Outfit und das traditionelle Kopftuch. Leider kam mir die Idee, Musliminnen um Fotos zu bitten, erst später, sodass ich sie nicht geknipst habe.
Wieder eine verpasste Gelegenheit?
Nein, ich habe sie ja gesehen.
Ihr habt sie verpasst.
Ätsch!

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Pamukkale sucht Russlands Next Topmodel

Pamukkale, Türkei

52. Reisetag

3658 Kilometer

Diese Bilder kennt jeder, der schon mal irgendwas von der Türkei gesehen hat. Schneeweiß gebleichte Kalkterrassen, über die kristallklares Wasser fließt. Es ist eines der ungewöhnlichsten Naturspektakel in diesem Land, dass ich mir natürlich nicht entgehen lasse. In Ephesus habe ich eine holländische Familie kennengelernt, die bereits dort war und mir einen perfekt gelegenen Campingplatz direkt unterhalb der Terrassen empfohlen hat.

Die Anfahrt erinnert mich an einen Skiausflug, zu dem ich mal im Herbst in Boston/USA eingeladen wurde. Wir fuhren Stunden durch eine grüne hügelige Gegend, nirgendwo auch nur Anzeichen von Schnee. Ich hatte erhebliche Zweifel, dass man hier irgendwo Wintersport betreiben könnte, als plötzlich wie aus dem Nichts ein weißer Hügel in der Landschaft auftauchte. Des Rätsels Lösung: Kunstschnee für den kompletten Berg.

So ähnlich sah es aus, als ich mich Pamukkale näherte. Plötzlich war da ein großer weißer Abhang in der sonst grünen Landschaft. Spektakulär. Inzwischen ein Unesco Weltkulturerbe und Nationalpark darf man sich aber auf den Kalksinterterrassen dennoch recht frei bewegen und auch darin baden. Einzige Bedingung: man muss die Schuhe ausziehen. Zur Kontrolle stehen überall Aufpasser mit Trillerpfeife im Mund, die jeden laut anpfeifen, der seine Latschen anlässt. Oberhalb der weißen Pracht thront die Stadt Hierapolis, bzw. das, was von ihr übrig ist. Hierapolis war bis 1334 sozusagen ein Kurort, denn den 36 Grad warmen Quellen, die sich über die Terrassen ins Tal ergiessen, wurde und wird natürlich eine heilende Wirkung zugeschrieben. Nach mehreren Erdbeben wurde die Stadt leider aufgegeben. Ein Besuch ist sehr lohnenswert, besonders beeindruckend ist das gut erhaltene und weiterhin in Restaurierung befindliche Amphitheater, das noch über viele Aufbauten hinter der Bühne verfügt.

Insgesamt ist man mit der Besichtigung von Hierapolis und den Terrassen nach ca. vier Stunden durch. Es sei denn, man hält sich an einem weiteren Schauspiel auf, dass keinem Reiseführer eine Erwähnung wert ist. Ein Geheimtipp also. Zahlreiche Russinnen posieren nämlich vor der ungewöhnlichen Kulisse, um sich in allen möglichen freizügigen Posen ablichten zu lassen.

Ich habe mich selbstredend nicht für das billige Zurschaustellen dieser mit fast nichts bekleideten, jungen, gut gebauten, knackigen, langbeinigen, schlanken, makellosen Körper interessiert und bin bereits nach zwei Tagen weitergereist!

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PSSSST, nur für Jungs. Die Bilder der schönen Mädels gibts hier.

Ephesus und die großen Geschäfte

Ephesus, Türkei

49. Reisetag

3465 Kilometer

Ephesus ist für alles Mögliche berühmt, unter anderem dafür, dass hier mit dem Tempel der Artemis eines der sieben Weltwunder der Antike stand.
Bevor ich hier eintraf waren schon andere, ebenfalls recht bekannte Persönlichkeiten da, u.a. König Krösus, Alexander der Große und die Römer, die Ephesus zur Hauptstadt des Römischen Reiches für die Provinz Asien machten. In dieser Zeit wohnten bis zu 250.000 Menschen in dieser Stadt.

Ephesus ist riesig, bei weitem die größte ausgebuddelte Stadt, die ich bisher gesehen habe. Allein das Zusammensetzen der bereits freigelegten Teile wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Und da bisher erst ca. 18% der Stadt überhaupt ausgegraben wurden, hat man hier noch Jahrhunderte zu tun. Die vielleicht wichtigsten und interessantesten Teile der Stadt sind wunderbar zu besichtigen, also z.B. Bibliothek, Amphitheater, Tempel, Agora und die Latrinen.

Diese öffentlichen Toiletten waren damals ja ein geselliger Treff. Was heute für viele deutsche Männer der Stammtisch oder für die Türken das Teehaus ist, war früher schlicht und einfach der Donnerbalken. Gesellig saß man Pobacke an Pobacke, schwatzte über Gott und die Welt, aß ausgiebig zusammen, wickelte handfeste Geschäfte ab (daher ja auch dieser Ausdruck) oder chillte einfach (für unsere Jugend).

Mein englischer Lonely Planet Reisefüher bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

“… even if you had a private bathroom at home you would often come to the public toilets to shoot the shit with your friends (sorry, we had to say that)…”

Aus nachvollziehbaren Gründen waren die Räumlichkeiten oben offen. Die perfekte Lüftung. Und damit unter freiem Himmel niemand frieren mußte, waren die Wände im Winter sogar beheizt.

Wer angesehen und vermögend war, konnte exklusives Mitglied einer öffentlichen Toilette werden und einen Sitzplatz für sich reservieren. Da stelle ich mir vor, wie der Herr Bürgermeister reinkommt, zu seinem angestammten Sitzplatz geht, der aber gerade besetzt ist.
“Das ist mein Platz!”
“Ich bin gerade bei einem wichtigen Geschäft.”
“Egal, weg da!”
Steht der dann auf und trippelt mit bis zu den Knöcheln runtergelassener Hose und blankem Hintern an der Sitzparade vorbei zum nächsten freien Platz?

Wie auch immer. Wer heute was auf sich hält, ist in einer Charity Organisation, einem Business Club, bei Amnesty International, den Lions, den Rotariern oder beim FC Bayern München. Früher dagegen hieß es in der besseren Gesellschaft einfach:

“Und in welchem Scheißverein sind Sie?” (Entschuldigung, aber das mußte einfach sein!)

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Troja – Mann oh Mann Schliemann

Troja, Türkei

42. Reisetag

2985 Kilometer

Bis zu meinem Besuch der Überreste von Troja dachte ich wirklich, der deutsche Heinrich Schliemann sei ein angesehener Archäologe und ehrenwerter Mann. Schließlich gilt er als Entdecker Trojas. Ich bin eines Besseren belehrt worden.

Schliemann war auf der Suche nach Troja. Da trifft er zufällig an den Dardanellen den Briten Frank Calvert. Der suchte ebenfalls nach der alten Stadt. Dummerweise hat Calvert zuerst an einer falschen Stelle gebuddelt und ist nun pleite. Er empfiehlt Schliemann einen Hügel, da muss Troja sein. Schliemann, Typ erfolgreicher Geschäftsmann mit teurem Hobby, kann vor lauter Geld in den Taschen kaum laufen und läßt sich nicht zweimal bitten. Aber was macht der Kerl? Anstatt die verschüttete Stadt behutsam freizulegen, treibt er mal eben eine 17 Meter tiefe und 20 Meter breite Schneise quer durch den Hügel. Archäologen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Seine Tat geht als “Schliemann-Graben” in die Geschichte ein. Es zeigt sich, dass Schliemann in Wirklichkeit nämlich gar kein Archäologe, sondern nur ein simpler Schatzjäger ist. Tatsächlich findet er Kostbarkeiten und nennt sie großspurig Schatz des Priamos. Fast überflüssig zu bemerken, dass Schliemann auch bei der Datierung des Schatzes voll daneben liegt. Entgegen der Abmachungen mit der lokalen Regierung, nimmt er den Schatz an sich, schmuggelt in außer Landes und macht ihn “dem Deutschen Volke” zum Geschenk.

Schäm Dich Schliemann! Wir wollen Deine geklauten Geschenke nicht!

Seit dem zweiten Weltkrieg ist Russland übrigens im Besitz der Kostbarkeit und stellt sie in Moskau aus. Die Türkei bemüht sich bisher vergebens um eine Rückführung.

Ansonsten ist Troja nicht wirklich einen Besuch wert. Man braucht schon sehr viel Fantasie, um sich die Stadt in seiner ursprünglichen Form vorzustellen. Wie um dieses Defizit auszugleichen, hat man ein großes trojanisches Pferd nachgebaut, dass man, wenn nicht gerade Bauarbeiten im Gange sind, auch im Innern erklimmen kann.
Na ja, wer’s mag.
Aber allemal besser als ein Schliemann-Graben!

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Dardanellen – von Mutterliebe, Gott, Natur und Wichtigerem

Kabatepe, Türkei

41. Reisetag

2940 Kilometer

Es ist der 25.04.1915. Lassen wir mal dahingestellt, wer in diesem Konflikt zuerst geschossen hat. Davon können wir Deutsche ja auch ein Lied singen. Auf jedem Fall starten an diesem Datum Einheiten des British Empire, vor allem aus England, Neuseeland und Australien, in Allianz mit Frankreich, ihren Versuch, die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, Istanbul, zu erobern. Das ist nicht so einfach, denn um mit einer Flotte aus dem Mittelmeer dorthin zu gelangen, muss man durch eine kleine Meerenge, die Dardanellen, oder auch die Straße von Çanakkale genannt. Dieses schmale Gewässer ist zugleich der Übergang von Europa nach Asien, ähnlich dem Bosporus in Istanbul. Umgeben ist die Meerenge also sozusagen vom Festland auf asiatischer und von der schmalen, länglichen Halbinsel Gallipoli auf europäischer Seite. Zu besagtem Datum landen die Angreifer auf dieser Halbinsel. Es folgen die schlimmsten Kämpfe des ersten Weltkrieges. Circa 150.000 Soldaten sterben, auf einem Schlachtfeld der Größe eines Fußballfeldes allein 7.000. Zudem sind mehr als eine Viertelmillion Verletzte zu beklagen. Gemessen an der Bevölkerung erleiden die Australier die größten Verluste. Es war ihr erster Kriegseinsatz überhaupt. Nach neun Monaten müssen sich die Angreifer geschlagen zurückziehen. Auf türkischer Seite befehligte ein u.a. ein Offizier namens Mustafa Kemal die Truppen. Hier wird er zum Volkshelden. Später wird er zum Gründer der modernen Türkei, nennt sich dann Atatürk, “Vater der Türken”. Sein Konterfei ist überall im Land zu finden, natürlich auch auf einem Geldschein. Unter anderem setzt er die Trennung von Staat und Kirche durch. Eine Großtat in diesem Land.

Die Halbinsel Gallipoli ist heute eine Pilgerstätte. Zu meinem großen Erstaunen aber nicht nur für die Türken, sondern auch für Neuseeländer und Australier. In Folge des ersten Weltkrieges zerfiel eben nicht nur das Osmanische Reich, sondern auch das British Empire. Alle drei Staaten sehen in dem 25.04.1915 die Initialzündung zur Gründung ihrer selbständigen Staaten. So ist in Neuseeland und in Australien der 25.04. heute einer der höchsten Feiertage.

Der Zufall will es so, dass ich die Halbinsel am Wochenende nach dem 25.04. durchfahre. Es reiht sich Bus an Bus. Alle ehemaligen Schlachtfelder sind heute Gedenkstätten, es gibt unzählige Friedhöfe und mehrere Informationszentren. Ich besuche das vielleicht modernste in Kabatepe. Der Eingang riesig, die äußere Erscheinung ehrfurchteinflößend. Im Inneren bin ich zuerst etwas enttäuscht, denn es gibt nur zwei halbe Etagen mit Ausstellungsstücken. Dazu soll es noch einen Film geben. Dieser Film entpuppt sich später als eine der modernsten Multimedia-Shows, die mir bisher untergekommen ist. Insgesamt gibt es 11 Themenräume, die man nacheinander durchläuft. Ich bekomme ein Audioguide, das die Texte der eingespielten Filme nicht intern gespeichert hat, sondern per Infrarot empfängt. Dadurch erhält man eine Simultan-Übersetzung aller Szenen. In jedem Raum werden Stadien der Auseinandersetzung thematisiert. In einem wird man auf eines der englischen Schiffe versetzt. Der Boden schwankt so stark, dass man sitzen muss. Im Weiteren gibt es 3D Filme, in denen einem die Granaten um die Ohren fliegen, 360 Grad Projektionen, einen Raum mit Liegesitzen und Kuppel, wie im Planetarium, Schützengräben, durch die man läuft, alles sehr erschreckend echt. Irgendwie bin ich froh, als ich wieder raus bin.
Dann besuche ich die kleine Ausstellung. Was man so kennt: Schuhe, Gewehre, Feldflaschen, Alltagsgegenstände der armen Kerle. Dann aber entdecke ich einen ins Englische übersetzten Brief eines türkischen Soldaten, den er zwei Tage vor seinem Tod geschrieben hat. In poetischen Worten huldigt er seiner Mutter, dem Gott im Himmel, der Natur. Sehr ergreifend. Ich bin gespannt, wie er sein recht schwülstiges Schriftstück wohl beenden wird. Und dann kommt die Überraschung, die diesen Menschen für mich dann doch so sympathisch macht.

“Liebe Mutter, ich brauche keine Unterwäsche. Ich habe Geld.”

Herrlich.

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Huckehuckepack nach Bulgarien

Stara Zagora, Bulgarien

38. Reisetag

2574 Kilometer

Ich übernachte unweit der Fähre, die mich von Rumänien nach Bulgarien bringen soll. Meine letzten rumänischen Leu habe ich in einem kleinen Minimarket in Kaffee und Reiseproviant investiert, nun kann es weiter gehen.

Erst als ich an der Fähre angekommen bin, bemerke ich, dass ich ja noch Leu für die Überfahrt benötige. Verdammt, das ärgert mich. Dazu muss ich erwähnen, dass ich im Ausland folgendes Prinzip beherzige: ich esse das lokalen Essen, ich trinke das lokale Bier, ich zahle in der lokalen Währung. Mir fällt das leicht, denn ich verfüge über einen Magen wie ein Pferd, habe nie verstanden, warum die Deutschen so stolz sind auf ihr Bier, andere Länder habe auch klasse Biere und ich kann ganz gut Kopfrechnen.

Aber jetzt stehe ich vor dem Kassenhäuschen der Fähre und muss in Euro bezahlen. Das ist in keinem der Länder durch die ich bisher gefahren bin ein Problem. Im Gegenteil, oft sind z.B. die Zimmerpreise nur in Euro ausgeschildert und nicht in der Landeswährung. Mir gefällt sowas nicht. Aber jetzt bleibt mir für meine letzte Transaktion in Rumänien nichts anderes übrig. Die Fährfahrt kostet drei Euro. Ich bezahle mit einem Zehn-Euro-Schein und bekomme wie selbstverständlich einen Fünf-Euro-Schein und eine Zwei-Euro-Münze wieder. Dazu gibt es eine Quittung, ebenfalls in Euro ausgestellt. Da bin ich schon etwas verwundert, denn Rumänien ist von der Einführung unserer tollen Gemeinschaftswährung offiziell noch weit entfernt, praktisch haben sie sie fast schon.

Weiter geht es vorbei an einer wartenden Schlange von Lastwagen direkt zum Fähranleger. Dort finde ich eine einsam mitten im Wasser liegende Rampe vor, an der die Fähre vermutlich anlegen wird. Wie bitteschön soll ich da denn hinkommen? Als dann die Fähre kommt, stellt sich heraus, dass sie einen eigenen Ausleger hat, der noch weiter hinten im Wasser landet. Während der Wartezeit komme ich mit vier netten Rumänen ins Gespräch, von denen zwei einen offensichtlich verunfallten Transporter auf einem Anhänger werweißwohin überführen. Kurzerhand packen alle mit an und mein Fahrrad samt Gepäck wird auf die Ladefläche des Transportes auf dem Anhänger gehievt. Oben drauf ist es so wackelig, dass ich das Fahrrad lieber hinlege. Ich selbst passe noch in die Fahrerkabine mit rein. So klappt es mit der Fährfahrt.

Die Grenzabfertigung problemlos, an die kyrillische Schrift konnte ich mich in Serbien schon gewöhnen. Und anders als beispielsweise in Russland ist Bulgarien eher “zweischriftig”.

Dann der erste Platten. Auf einer Baustelle in einem Dorf macht es plötzlich peng und zisch, das war’s. Beim ersten Mal etwas aufwändig, das ganze Gepäck runterzuladen, später gewöhnt man sich dran… Bald kommt ein Bulgare mit Flickzeug in der Hand aus dem Haus. Ich bedanke mich herzlich, benötige es aber nicht, weil mein Flicken schon drauf ist. Die Bulgaren sind also auch nett!

Jetzt ist erstmal Zeit für eine Mittagspause. In der nächsten Kleinstadt decke ich mich am Automaten mit bulgarischen Lev ein, dann geht es zum nächsten Imbiss. Die Bedienung versteht kaum Englisch und kein Deutsch, wir einigen uns auf Pommes Frites. Interessanterweise fragt sie nicht, ob ich Ketchup oder Majo will, sondern “Cheese, yes, no?”. Ich sag natürlich “Yes, please!” und bekomme Pommes mit geriebenem Schafskäse drauf. Auch lecker.

Ich bemerke ein Fahrrad, das vorne am Lenker eine Stihl-Kettensäge transportiert. Als der Fahrer kommt, frage ich, ob ich ein Foto machen darf. Wir kommen ins Gespräch. Er heißt Eliah. Ihm fehlen die Hälfte seiner Schneidezähne, der Rest ist in bedauernswertem Zustand. Bei uns ginge er als astreiner Obdachloser durch. Aber Überraschung. Er spricht sechs Sprachen (bulgarisch, russisch, rumänisch, serbisch, “Zigeuner” und deutsch), ist pensionierter Handwerker, schwört auf deutsche Maschinen, was anderes kommt ihm nicht unter, und seine Mutter lebte einst in Bielefeld. Er wünscht mir Glück für meine Reise.

Dann der zweite Platten. Die Baustelle hatte mir den Hinterreifen aufgeschlitzt und unter Druck hat sich der Schlauch, von mir unbemerkt, durch den Riss gedrückt. Das konnte nicht lange gut gehen. Ich flicke notdürftig und werde den Reifen bei nächster Gelegenheit austauschen müssen.

Abends dann im Hotel. Ich frage nach einem Zimmer. Kein Problem.
“Haben Sie ein Nichtraucher-Zimmer?”
“Das ganze Hotel ist ein Nichtraucher-Hotel.”
“Sehr gut.” Sie gibt mir den Schlüssel.
“Aber ein, zwei oder drei Zigaretten auf dem Zimmer sind kein Problem.”
“Ich möchte aber ein Zimmer, in dem nicht geraucht wurde.”
“Kein Problem, dies ist ein Nichtraucher-Hotel.”
Widerstand zwecklos.

Später gehe ich noch was essen. Hier werde ich mit einer anderen lustigen Eigenheit der Bulgaren konfrontiert. Sie schütteln den Kopf, wenn sie “ja” meinen und nicken bei “nein”. Ich hatte schon davon gehört.
Als ich bestelle, fragt mich der Kellner, ob ich auch Brot möchte. Ich nicke und sage “ja”. Er nickt und sagt “Kein Brot?” Oh, verdammt, dass kann kompliziert werden. Ich nehme mir vor, bei “ja” und “nein” einfach den Kopf ganz ruhig zu halten. Das ist schwieriger, als man denkt. Ungefähr so, wie bei diesem Spiel, bei dem in schneller Folge Fragen gestellt werden, die man aber nicht mit “ja” oder “nein” beantworten darf. Spiel verstanden? Reingefallen!

Das Essen war ausgezeichnet. Der Kellner kommt. Er fragt, ob es geschmeckt hat.
Gut gesättigt nicke ich zufrieden.

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Rumänien – auf dem Land eine andere Welt

Bechet, Rumänien

33. Reisetag

2372 Kilometer

Von Serbien kommend überquerte ich zuerst einen Zipfel der Südkarpaten, fuhr dann entlang der Donau durch das “Eiserne Tor”, den Durchbruch der Donau durch die Karpaten, um anschließend durch die Wallachei wieder zur Donau zu gelangen, über die ich mich nach Bulgarien verabschiedete.

Was mir zuerst in Rumänien auffiel, war der viele Müll am Wegesrand. Das habe ich in keinem anderen der Staaten Osteuropas gesehen, selbst bei einer früheren Tour in Russland nicht. Der Müll war scheinbar kein lokales Problem, denn er verfolgte mich über die komplette Strecke von fast 400 km in Rumänien. An vielen Stellen wird er einfach verbrannt, mit allem was dazugehört, Plastiktüten, Plastikflaschen, Styropor, usw.

Auch an die allgegenwärtigen Hunde musste ich mich erst gewöhnen. Die vielen Straßenhunde in erbärmlichen Zustand sind scheu, schreckhaft und tun nichts. Andere Hunde sind schon eher aggressiv und werden von Radlern gefürchtet.

Als nächstes für unsereins sehr ungewöhnlich, die Landwirtschaft. Keine großen Felder, selten mal ein Traktor. Die kleinen, oft unebenen Äcker werden überwiegend von Hand bearbeitet. Viele alte Frauen mit Schaufeln und Hacken sind hier zugange, Pferde ziehen Pflüge durch den Boden. Ich hatte in Ungarn bereits einen Pferdewagen gesehen, aber hier in Rumänien vergeht auf dem Land keine Minute, ohne dass man einen sieht.

Dann die Autos. Wenn man glaubt, dass hier nur alte Schrottkarren rumgurken ist man komplett falsch gewickelt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ok, es gibt ein paar vereinzelte alte Dacias, die fallen jedoch kaum auf. Alle anderen sind relativ neu. Es gibt auffallend wenig Autos. Alte Mopeds sind ebenfalls Mangelware. In Serbien zum Beispiel habe ich erstaunlich viele Autos gesehen , die schon zu meiner Studentenzeit unterwegs waren , z.B. R4 von Renault und den Käfer, auch einige Trabis im Altagsgebrauch. Viele Mopeds stammten noch aus ostdeutscher Produktion, also Simsom und Schwalbe. Nichts dergleichen in Rumänien. Noch in den 80-er Jahren muss zumindest das ländliche Rumänien so gut wie Moped- und Auto-frei gewesen sein, ansonsten hätten noch ein paar mehr alte Schätzchen überlebt.
Auch heute noch kann sich kaum ein Normalbürger ein Auto leisten. Kein Wunder, die Spritpreise entsprechen, wie in allen Ländern, durch die ich bisher gekommen bin, ungefähr den unseren, aber die Einkünfte und sonstigen Lebenshaltungskosten sind nur ein Bruchteil von unseren. Für einen Kaffee habe ich letztens umgerechnet 20 Cent bezahlt.

Die Kleinstädte, in denen ich übernachtet habe, empfand ich als recht angenehm. Viel Platz für Fußgänger, wenig Autos und eine inzwischen gute Infrastruktur. Es ist unübersehbar, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Städten stattfindet, wie bei uns in Ostdeutschland ja auch, aber die Entwicklung auf dem Land eher stagniert.

Das Dorfleben in Rumänien war für mich eine völlig neue Erfahrung. Dörfer kannte ich bisher entweder als rausgeputzt (“unser Dorf soll schöner werden”) oder relativ leblos, Stichwort Landflucht. Hier in Rumänien pulsiert das Leben auf dem Lande noch. Vor jedem zweiten Haus gibt es eine Sitzbank, auf der auch wirklich Leute sitzen. Bürgersteige gibt es nicht, alle laufen auf der Straße rum. In den Dörfern befinden sich meist mehrere Brunnen, die noch rege benutzt werden. Alte Omis, die zwei volle Wassereimer über die Straße schleppen sind keine Seltenheit. Die Häuser meist ärmlich, aber nicht vernachlässigt. Überall wird gewerkelt und gearbeitet, die Rumänen sind fleißig!
Ein Dorf mit einer Durchgangsstraße kann sich glücklich schätzen, denn diese ist asphaltiert. Alle davon abgehende Straßen sind unbefestigt. Ich habe Dörfer ohne eine einzige befestigte Straße gesehen.
Teppiche werden offensichtlich nicht gesaugt, denn allerorts sieht man, wie sie mitten auf der Straße geschrubbt und dann über den Zaun zum Trocknen aufgehängt werden. Läden aller Art, Schulen, Werkstätten, all das ist noch vorhanden.
Fährt man mit dem Fahrrad durch ein Dorf, kommt man sich vor, wie bei der Tour de France, wo alle am Straßenrand stehen und anfeuern. Wie viele Sprachen habe ich hier schon gehört? ” Bon Voyage, buon giorno, servus, sehr gut, hello, ciao, dobre” und vieles mehr. Gegrüßt und gewunken wird von allen Altersgruppen. Die Kinder erspähen einen schon von weitem und kommen zum Abklatschen, selbst auf dem Fahrrad.

Freundliche Menschen, eine grandiose Landschaft, gutes Wetter, Rumänien hat viel zu bieten, aber auch noch einen ganz, ganz langen Weg vor sich.

Und ehrlich gesagt, wenn ich König von Rumänien wäre, würde ich als erstes etwas einführen, was mit “Müll” anfängt und mit “abfuhr” aufhört!

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