Bauchgrummeln in der Türkei

Arhavi, Türkei

84. Reisetag

4527 Kilometer

Auf dem Weg von Zentral- nach Ost-Anatolien wird es bergig. Pässe von über 2000 m Höhe sind zu überwinden. Belohnt wird man durch schöne lange Abfahrten und herrliche Landschaften. Ich fahre durch verschiedene Anbaugebiete. Von Giresun am Schwarzen Meer kam die Kirsche erstmals über Italien nach Europa. Heute werden hier überwiegend Haselnüsse angebaut und damit 70% des Weltmarktes abgedeckt. In Rize bin ich dann im Hauptanbaugebiet für Tee in der Türkei.

Leider bekam ich irgendwann Bauchkrämpfe, sodass ich das alles gar nicht so recht geniessen konnte.

Diese sind fast sinnbildlich für meine Gefühle, die ich für dieses Land nach meinem fast siebenwöchigen Aufenthalt hege. Denn obwohl die Menschen hier weit überwiegend sehr herzlich und wirklich gastfreundlich sind, habe ich doch einiges Bauchgrummeln mit diesem Land. Als jemand, der Religionen eher kritisch gegenübersteht, beobachte ich mit Unbehagen, wenn eine Religion versucht, im Staat eine starke Position einzunehmen und bis ins Alltagsleben vorschreiben möchte, was man bzw. frau anzuziehen hat und was man essen oder trinken darf. Ich hoffe sehr, dass sich die offensichtlich vorhandenen konservativen Tendenzen in der Türkei nicht weiter Raum verschaffen.

Sivas – so schön, so traurig

Sivas, Türkei

72. Reisetag

3932 Kilometer

Wenn ich schon mal am Sonntagabend den “Tatort” einschalte, gelingt es mir fast nie, ihn wirklich bis zum Ende anzuschauen. Die Geschichten oft haarsträubend, die Schauspielkunst maximal Mittelmaß.

Ich weiss nicht mehr, wie es bei diesem Tatort war, aber ich hörte das erste Mal den Namen der türkischen Stadt Sivas, lernte etwas über einen Konflikt zwischen Moslems und Aleviten, erfuhr von einem Brandanschlag. Leider alles real und nicht ausgedacht.

Was war passiert in Sivas? Im Juli 1993 versammelten sich nach dem Freitagsgebet ca. tausend radikale Islamisten vor dem Hotel Madimak, in dem Intellektuelle und Aleviten ein Kulturfestival abhielten, darunter auch der Verleger der “Satanischen Verse” in der Türkei. Die Menge setzte das Hotel in Brand, über 30 Menschen starben. Das Grauen war im Fernsehen zu verfolgen, das Verhalten von Stadtverwaltung, Polizei und Feuerwehr war, gelinde gesagt, zwielichtig.

Die Situation ähnelt sehr den Vorkommnissen im deutschen Hoyerswerda, wo 1991 ein aufgebrachter Mob Rechtsradikaler unter den Augen der Öffentlichkeit ein von Ausländern bewohntes Haus in Brand setzte. Nur durch sehr viel Glück waren hier keine Toten zu beklagen, aber die Rolle der öffentlichen Instanzen war ebenfalls recht fragwürdig. Das Wort “ausländerfrei” wurde das Unwort des Jahres in Deutschland.

Schlimm für beide Städte, dass ihre Namen nun für immer mit diesen beiden Ereignissen verbunden sein werden.

Für Sivas tut es mir besonders leid, denn es ist eine ausgesprochen schöne, lebhafte Universitätsstadt mit langer Tradition und einer jungen Bevölkerung. Und sie hat mittlerweile aus der Geschichte gelernt. Das ehemalige Hotel wurde inzwischen von der Stadt übernommen, umgebaut und eine Gedenkstätte darin eingerichtet. Jedes Jahr erinnern mittlerweile zig-tausende Demonstranten am Gedenktag an die schlimmen Ereignisse. Sehr gut.

Aber das ist in Hoyerswerda ja auch so, oder?

Kappadokien und die fotogenen Musliminnen Anatoliens

Kappadokien, Türkei

62. Reisetag

3658 Kilometer

Gaby /Gastautorin:
“Reisen heißt entdecken” – und dafür muss man sich auch auf Menschen und Situationen entlang der Reiseroute einlassen – ist aber gar nicht so einfach, denn so manches Mal halten vorgefasste Meinungen oder übertriebene political correctness uns davon ab.

So z.B im anatolischen Gülağaç, wo Andreas und ich zufällig am Markttag vorbeikommen – und was für ein Markt: Hier gibt es alles von Obst und Gemüse über Käse und Oliven, lebende Hühner, Saatgut und Setzlinge, Haushaltswaren, Textilien und Schuhe bis hin zu Simit und Çay zur Stärkung beim Shopping. Doch trotz all dieser Vielfalt und der vielen Marktbesucherinnen und -besucher, modern oder traditionell gekleidet, fallen wir Zwei ziemlich auf, denn wir sind die einzigen ‘Reisenden’, die an diesem Tag neugierig über den Markt schlendern. Und so erregen auch wir Neugier und freundliches Interesse – eine Mutter versucht gar ihr Kind mit Hinweis auf uns vom Weinen abzulenken. Hat das eigentlich geklappt, Andreas?
Als uns aber zwei Frauen fröhlich lachend ansprechen und Zeichen vor ihren Augen machen, bin ich ziemlich ratlos: Was meinen sie denn? – soll ich meine Sonnenbrille abnehmen? – nein, ich glaube, sie möchten gern fotografiert werden! Und das wäre wahrscheinlich ein schönes Foto geworden, hätte mich vielleicht auch dazustellen können, damit Andreas uns knippsen kann – WENN NICHT die innere Stimme gewarnt hätte: Soll ich so einfach zwei fremde Musliminnen fotografieren? Oder alternativ: Verlangen die zwei, wie das in so mancher Touri-Hochburg (die Gülağaç sicher nicht ist) passiert, danach ein Modelgehalt? Schade, eine verpasste Gelegenheit!

Andreas:
Sowas passiert. Oft weiß man eben auf die Schnelle gar nicht, wie man in einer ungewohnten Situation reagieren soll. Aber es ist ja Zeit genug, Verpasstes nachzuholen. Ich mache einfach mal die Probe aufs Exempel und fotografiere ein paar Musliminnen, natürlich nicht ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen.

Diese junge Frau traf ich in einer Medresse. Sie suchte mit ihrer Freundin offensichtlich einen Hut für ihre Abschlussfeier aus. Alles muss zusammenpassen: Hut, Talar und eben das Kopftuch. Als ich fragte, ob ich sie fotografieren darf, ging sie sofort in Pose, machte den Mantel zu, stellte sich kerzengerade ins Profil und legte ihr Lächeln auf. Zum Abschied sagte sie “Thank you!”.

 

Dieses Pärchen fiel mir auf, weil es in aller Öffentlichkeit schmuste. Sie schien sehr traurig und hatte ihren Kopf auf seine Schultern gelegt. Dazu die Rose in ihrer Hand. Sie unterhielten sich nicht. Steht vielleicht ein Abschied bevor? Aber auch sie lächelte, als ich sie fotografierte, obwohl man sieht, dass es ihr nicht leicht fällt.

 

 

Solche Grüppchen sah ich sehr oft in Sivas. Sie sind zwar sehr traditionell gekleidet, aber ihr Verhalten scheint sich von anderen Jugendlichen hier kaum zu unterscheiden. Ich fand es ulkig, als Eine ihrer Freundin zurief “give me five!” und die Hand zum Abklatschen hob. Sie freuten sich offensichtlich sehr, dass ich sie fotografierte.

 

 

 

In Sivas kann man wohl unter anderem Kunst studieren, denn an einem Tag gab es eine Ausstellung im Freien vor der Buruciye Medresse. Als Dress Code für die Studierenden wurde offensichtlich “unten schwarz, oben weiß” ausgegeben. Eine Studentin trug eine knallenge weiße Bluse, schwarze Leggins, schwarze High Heels mit richtig hohen Absätzen und ein schwarzes Kopftuch. Welch ein Kontrast. Das sehr körperbetonte Outfit und das traditionelle Kopftuch. Leider kam mir die Idee, Musliminnen um Fotos zu bitten, erst später, sodass ich sie nicht geknipst habe.
Wieder eine verpasste Gelegenheit?
Nein, ich habe sie ja gesehen.
Ihr habt sie verpasst.
Ätsch!

Pamukkale sucht Russlands Next Topmodel

Pamukkale, Türkei

52. Reisetag

3658 Kilometer

Diese Bilder kennt jeder, der schon mal irgendwas von der Türkei gesehen hat. Schneeweiß gebleichte Kalkterrassen, über die kristallklares Wasser fließt. Es ist eines der ungewöhnlichsten Naturspektakel in diesem Land, dass ich mir natürlich nicht entgehen lasse. In Ephesus habe ich eine holländische Familie kennengelernt, die bereits dort war und mir einen perfekt gelegenen Campingplatz direkt unterhalb der Terrassen empfohlen hat.

Die Anfahrt erinnert mich an einen Skiausflug, zu dem ich mal im Herbst in Boston/USA eingeladen wurde. Wir fuhren Stunden durch eine grüne hügelige Gegend, nirgendwo auch nur Anzeichen von Schnee. Ich hatte erhebliche Zweifel, dass man hier irgendwo Wintersport betreiben könnte, als plötzlich wie aus dem Nichts ein weißer Hügel in der Landschaft auftauchte. Des Rätsels Lösung: Kunstschnee für den kompletten Berg.

So ähnlich sah es aus, als ich mich Pamukkale näherte. Plötzlich war da ein großer weißer Abhang in der sonst grünen Landschaft. Spektakulär. Inzwischen ein Unesco Weltkulturerbe und Nationalpark darf man sich aber auf den Kalksinterterrassen dennoch recht frei bewegen und auch darin baden. Einzige Bedingung: man muss die Schuhe ausziehen. Zur Kontrolle stehen überall Aufpasser mit Trillerpfeife im Mund, die jeden laut anpfeifen, der seine Latschen anlässt. Oberhalb der weißen Pracht thront die Stadt Hierapolis, bzw. das, was von ihr übrig ist. Hierapolis war bis 1334 sozusagen ein Kurort, denn den 36 Grad warmen Quellen, die sich über die Terrassen ins Tal ergiessen, wurde und wird natürlich eine heilende Wirkung zugeschrieben. Nach mehreren Erdbeben wurde die Stadt leider aufgegeben. Ein Besuch ist sehr lohnenswert, besonders beeindruckend ist das gut erhaltene und weiterhin in Restaurierung befindliche Amphitheater, das noch über viele Aufbauten hinter der Bühne verfügt.

Insgesamt ist man mit der Besichtigung von Hierapolis und den Terrassen nach ca. vier Stunden durch. Es sei denn, man hält sich an einem weiteren Schauspiel auf, dass keinem Reiseführer eine Erwähnung wert ist. Ein Geheimtipp also. Zahlreiche Russinnen posieren nämlich vor der ungewöhnlichen Kulisse, um sich in allen möglichen freizügigen Posen ablichten zu lassen.

Ich habe mich selbstredend nicht für das billige Zurschaustellen dieser mit fast nichts bekleideten, jungen, gut gebauten, knackigen, langbeinigen, schlanken, makellosen Körper interessiert und bin bereits nach zwei Tagen weitergereist!

PSSSST, nur für Jungs. Die Bilder der schönen Mädels gibts hier.

Ephesus und die großen Geschäfte

Ephesus, Türkei

49. Reisetag

3465 Kilometer

Ephesus ist für alles Mögliche berühmt, unter anderem dafür, dass hier mit dem Tempel der Artemis eines der sieben Weltwunder der Antike stand.
Bevor ich hier eintraf waren schon andere, ebenfalls recht bekannte Persönlichkeiten da, u.a. König Krösus, Alexander der Große und die Römer, die Ephesus zur Hauptstadt des Römischen Reiches für die Provinz Asien machten. In dieser Zeit wohnten bis zu 250.000 Menschen in dieser Stadt.

Ephesus ist riesig, bei weitem die größte ausgebuddelte Stadt, die ich bisher gesehen habe. Allein das Zusammensetzen der bereits freigelegten Teile wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Und da bisher erst ca. 18% der Stadt überhaupt ausgegraben wurden, hat man hier noch Jahrhunderte zu tun. Die vielleicht wichtigsten und interessantesten Teile der Stadt sind wunderbar zu besichtigen, also z.B. Bibliothek, Amphitheater, Tempel, Agora und die Latrinen.

Diese öffentlichen Toiletten waren damals ja ein geselliger Treff. Was heute für viele deutsche Männer der Stammtisch oder für die Türken das Teehaus ist, war früher schlicht und einfach der Donnerbalken. Gesellig saß man Pobacke an Pobacke, schwatzte über Gott und die Welt, aß ausgiebig zusammen, wickelte handfeste Geschäfte ab (daher ja auch dieser Ausdruck) oder chillte einfach (für unsere Jugend).

Mein englischer Lonely Planet Reisefüher bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

“… even if you had a private bathroom at home you would often come to the public toilets to shoot the shit with your friends (sorry, we had to say that)…”

Aus nachvollziehbaren Gründen waren die Räumlichkeiten oben offen. Die perfekte Lüftung. Und damit unter freiem Himmel niemand frieren mußte, waren die Wände im Winter sogar beheizt.

Wer angesehen und vermögend war, konnte exklusives Mitglied einer öffentlichen Toilette werden und einen Sitzplatz für sich reservieren. Da stelle ich mir vor, wie der Herr Bürgermeister reinkommt, zu seinem angestammten Sitzplatz geht, der aber gerade besetzt ist.
“Das ist mein Platz!”
“Ich bin gerade bei einem wichtigen Geschäft.”
“Egal, weg da!”
Steht der dann auf und trippelt mit bis zu den Knöcheln runtergelassener Hose und blankem Hintern an der Sitzparade vorbei zum nächsten freien Platz?

Wie auch immer. Wer heute was auf sich hält, ist in einer Charity Organisation, einem Business Club, bei Amnesty International, den Lions, den Rotariern oder beim FC Bayern München. Früher dagegen hieß es in der besseren Gesellschaft einfach:

“Und in welchem Scheißverein sind Sie?” (Entschuldigung, aber das mußte einfach sein!)

Troja – Mann oh Mann Schliemann

Troja, Türkei

42. Reisetag

2985 Kilometer

Bis zu meinem Besuch der Überreste von Troja dachte ich wirklich, der deutsche Heinrich Schliemann sei ein angesehener Archäologe und ehrenwerter Mann. Schließlich gilt er als Entdecker Trojas. Ich bin eines Besseren belehrt worden.

Schliemann war auf der Suche nach Troja. Da trifft er zufällig an den Dardanellen den Briten Frank Calvert. Der suchte ebenfalls nach der alten Stadt. Dummerweise hat Calvert zuerst an einer falschen Stelle gebuddelt und ist nun pleite. Er empfiehlt Schliemann einen Hügel, da muss Troja sein. Schliemann, Typ erfolgreicher Geschäftsmann mit teurem Hobby, kann vor lauter Geld in den Taschen kaum laufen und läßt sich nicht zweimal bitten. Aber was macht der Kerl? Anstatt die verschüttete Stadt behutsam freizulegen, treibt er mal eben eine 17 Meter tiefe und 20 Meter breite Schneise quer durch den Hügel. Archäologen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Seine Tat geht als “Schliemann-Graben” in die Geschichte ein. Es zeigt sich, dass Schliemann in Wirklichkeit nämlich gar kein Archäologe, sondern nur ein simpler Schatzjäger ist. Tatsächlich findet er Kostbarkeiten und nennt sie großspurig Schatz des Priamos. Fast überflüssig zu bemerken, dass Schliemann auch bei der Datierung des Schatzes voll daneben liegt. Entgegen der Abmachungen mit der lokalen Regierung, nimmt er den Schatz an sich, schmuggelt in außer Landes und macht ihn “dem Deutschen Volke” zum Geschenk.

Schäm Dich Schliemann! Wir wollen Deine geklauten Geschenke nicht!

Seit dem zweiten Weltkrieg ist Russland übrigens im Besitz der Kostbarkeit und stellt sie in Moskau aus. Die Türkei bemüht sich bisher vergebens um eine Rückführung.

Ansonsten ist Troja nicht wirklich einen Besuch wert. Man braucht schon sehr viel Fantasie, um sich die Stadt in seiner ursprünglichen Form vorzustellen. Wie um dieses Defizit auszugleichen, hat man ein großes trojanisches Pferd nachgebaut, dass man, wenn nicht gerade Bauarbeiten im Gange sind, auch im Innern erklimmen kann.
Na ja, wer’s mag.
Aber allemal besser als ein Schliemann-Graben!

Dardanellen – von Mutterliebe, Gott, Natur und Wichtigerem

Kabatepe, Türkei

41. Reisetag

2940 Kilometer

Es ist der 25.04.1915. Lassen wir mal dahingestellt, wer in diesem Konflikt zuerst geschossen hat. Davon können wir Deutsche ja auch ein Lied singen. Auf jedem Fall starten an diesem Datum Einheiten des British Empire, vor allem aus England, Neuseeland und Australien, in Allianz mit Frankreich, ihren Versuch, die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, Istanbul, zu erobern. Das ist nicht so einfach, denn um mit einer Flotte aus dem Mittelmeer dorthin zu gelangen, muss man durch eine kleine Meerenge, die Dardanellen, oder auch die Straße von Çanakkale genannt. Dieses schmale Gewässer ist zugleich der Übergang von Europa nach Asien, ähnlich dem Bosporus in Istanbul. Umgeben ist die Meerenge also sozusagen vom Festland auf asiatischer und von der schmalen, länglichen Halbinsel Gallipoli auf europäischer Seite. Zu besagtem Datum landen die Angreifer auf dieser Halbinsel. Es folgen die schlimmsten Kämpfe des ersten Weltkrieges. Circa 150.000 Soldaten sterben, auf einem Schlachtfeld der Größe eines Fußballfeldes allein 7.000. Zudem sind mehr als eine Viertelmillion Verletzte zu beklagen. Gemessen an der Bevölkerung erleiden die Australier die größten Verluste. Es war ihr erster Kriegseinsatz überhaupt. Nach neun Monaten müssen sich die Angreifer geschlagen zurückziehen. Auf türkischer Seite befehligte ein u.a. ein Offizier namens Mustafa Kemal die Truppen. Hier wird er zum Volkshelden. Später wird er zum Gründer der modernen Türkei, nennt sich dann Atatürk, “Vater der Türken”. Sein Konterfei ist überall im Land zu finden, natürlich auch auf einem Geldschein. Unter anderem setzt er die Trennung von Staat und Kirche durch. Eine Großtat in diesem Land.

Die Halbinsel Gallipoli ist heute eine Pilgerstätte. Zu meinem großen Erstaunen aber nicht nur für die Türken, sondern auch für Neuseeländer und Australier. In Folge des ersten Weltkrieges zerfiel eben nicht nur das Osmanische Reich, sondern auch das British Empire. Alle drei Staaten sehen in dem 25.04.1915 die Initialzündung zur Gründung ihrer selbständigen Staaten. So ist in Neuseeland und in Australien der 25.04. heute einer der höchsten Feiertage.

Der Zufall will es so, dass ich die Halbinsel am Wochenende nach dem 25.04. durchfahre. Es reiht sich Bus an Bus. Alle ehemaligen Schlachtfelder sind heute Gedenkstätten, es gibt unzählige Friedhöfe und mehrere Informationszentren. Ich besuche das vielleicht modernste in Kabatepe. Der Eingang riesig, die äußere Erscheinung ehrfurchteinflößend. Im Inneren bin ich zuerst etwas enttäuscht, denn es gibt nur zwei halbe Etagen mit Ausstellungsstücken. Dazu soll es noch einen Film geben. Dieser Film entpuppt sich später als eine der modernsten Multimedia-Shows, die mir bisher untergekommen ist. Insgesamt gibt es 11 Themenräume, die man nacheinander durchläuft. Ich bekomme ein Audioguide, das die Texte der eingespielten Filme nicht intern gespeichert hat, sondern per Infrarot empfängt. Dadurch erhält man eine Simultan-Übersetzung aller Szenen. In jedem Raum werden Stadien der Auseinandersetzung thematisiert. In einem wird man auf eines der englischen Schiffe versetzt. Der Boden schwankt so stark, dass man sitzen muss. Im Weiteren gibt es 3D Filme, in denen einem die Granaten um die Ohren fliegen, 360 Grad Projektionen, einen Raum mit Liegesitzen und Kuppel, wie im Planetarium, Schützengräben, durch die man läuft, alles sehr erschreckend echt. Irgendwie bin ich froh, als ich wieder raus bin.
Dann besuche ich die kleine Ausstellung. Was man so kennt: Schuhe, Gewehre, Feldflaschen, Alltagsgegenstände der armen Kerle. Dann aber entdecke ich einen ins Englische übersetzten Brief eines türkischen Soldaten, den er zwei Tage vor seinem Tod geschrieben hat. In poetischen Worten huldigt er seiner Mutter, dem Gott im Himmel, der Natur. Sehr ergreifend. Ich bin gespannt, wie er sein recht schwülstiges Schriftstück wohl beenden wird. Und dann kommt die Überraschung, die diesen Menschen für mich dann doch so sympathisch macht.

“Liebe Mutter, ich brauche keine Unterwäsche. Ich habe Geld.”

Herrlich.