Toskanisch-englische Momente in Ungarn

Dunavecse, Ungarn

24. Reisetag

1495 Kilometer

Es ist mittags und auf meinem Weg erscheint eine Einkehrmöglichkeit, die mir interessant erscheint. Ein Schild untersagt das Betreten in Badehose und man kann nur draußen sitzen. Es ist zwar noch recht frisch, aber die Sonne lacht und es ist mir einen Versuch wert.
Für meine Kinder: es sieht exakt so aus wie bei La Griglia in Roccamare/Toskana.
Für alle anderen: draußen stehen ca. ein Dutzend recht große dunkle Tische, aus dickem massiven Holz, fest im mit Kies bedecktem Boden verankert, drumherum ebenfalls massive Sitzbänke. Dazu eine überdachte Theke mit angeschlossener Küche. An der Theke holt man seine Getränke und bestellt das Essen, welches dann an den Tisch gebracht wird.
Offensichtlich ein Familienbetrieb, hinter der Theke drei Frauen, sagen wir mal Mutter, Tante, Oma und im Umfeld beschäftigt, oder auch nicht, die dazugehörigen Ehegatten. Bin ich wirklich in Ungarn oder ist das hier Italien?

Ich gehe also zur Theke und frage höflich: “Do you speak English?”. Kopfschütteln. Aber wie in Italien, stört das hier überhaupt niemanden. Da tippt sich Onkel an den Kopf, lächelt, verschwindet und kramt aus dem Off noch ein weiteres Mitglied der Sippe hervor, eine Teenagerin, komplett verschüchtert und um die 16 Jahre alt. Die wird nun, ganz offensichtlich gegen ihren freien Willen, nach vorne geschoben. Onkel zeigt stolz auf sie und sagt: “Englisch!”.
Hinter der Theke stehen nun alle in gespannter Erwartung um das arme Mädchen herum. Dann völlige Stille.
“Ok”, denke ich mir, “denen werden wir es jetzt mal richtig zeigen. Das wird dein Tag Kleine. Der geht in die Familiengeschichte ein.”
Langsam und deutlich sage ich:
“Can I have a beer, please?”
” Small or large?”, antwortet sie souverän. Ein Raunen geht durch die beobachtende Meute.
“Large, please.”, antworte ich.
Dann passiert etwas völlig Unerwartetes. Sie tippt das Bier in die Kasse ein und als diese es mit einem kurzen Klingeln quittiert, bricht die komplette Bande in einen unbeschreiblichen Jubel aus. Ungefähr so, als ob bei der Ziehung der Lottozahlen gleich die erste Zahl auch auf dem Tippschein steht. Da das Bier nur umgerechnet 90 Cent kostet, kann der Grund dieser Euphorie meines Erachtens nur darin liegen, dass es das Mädel geschafft hat, mit diesem Alien in einer fremden Sprache eine komplizierte Transaktion zu vereinbaren. Wunderbar, denke ich mir, fängt ja gut an.
“Do you have something to eat?”, ganz langsam, ganz deutlich.
“Fish and ships?”, die etwas überraschende Antwort (doch England und nicht Italien?).
“Yes, please.”
Kasse, Pling, Euphorie unter den Anwesenden. Schon zwei Richtige!
“Do you have salad?”
“Tomato salad.”
Extase pur. Drei Kugeln, drei Richtige.
Mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Herrschaften verzichte ich auf die Bestellung eines Nachtisches.
Als ich mich von der Theke zu meinem Tisch begebe sehe ich, wie sich alle um die Kleine scharen und ein großes Palaver entsteht. Das gefällt mir.

Später kommt Mutti, mit strahlendem Gesicht und einer Riesenportion Fish and Ships vor der Brust. Als sie das Tablett vor mich stellt, spüre ich, ja ich fühle es förmlich, wie sie mir über den Kopf streicheln möchte, wie einem Hund, dem man sein Fressi gibt. Und als sie wieder geht, bin ich mir ganz sicher gehört zu haben, wie sie sagte: “Guter Junge, so ein guter Junge, jetzt iss dich erstmal richtig satt!”
Besser kann es heute nicht mehr werden!

Budapest – nein, das habe ich leider nicht gesehen!

Budapest, Ungarn

23 Reisetag

1397 Kilometer

Das kennen wir doch alle. Da haben wir eine Stadt besichtigt und zurück zuhause treffen wir mit Sicherheit auf einen dieser Besserwisser, der folgende Frage stellt:
BW: “Aha, du warst in PillePalle, da hast du doch bestimmt DingsDa besichtigt. Was sagst du dazu?”
Wir: “Äh, DingsDa? Ne, hab ich nicht gesehen.”
BW: ” Waaas, du warst in PP und hast DD nicht gesehen???”
Tja, dumm gelaufen.
Nach Budapest kannst du jedes Jahr drei Wochen lang kommen und nach zehn Jahren hast du immer noch nicht alles gesehen.

Andreas, mein Namensvetter und Inhaber der Pension in Esztergom, kündigte an, Budapest sei schöner als Paris. Tja, Prag, Budapest, Bukarest, Warschau, Sankt Petersburg, usw. , allesamt Paris des Ostens. Welch eine Wertschätzung für die Hauptstadt Frankreichs!

Grund genug, die Sache selbst in Augenschein zu nehmen, und die beginnt mit zwei kleinen Dämpfern.

Der kleine Stadtführer, den mir die Betreiberin des Campingplatzes in die Hand drückt, nennt unter den drei Dingen, die man gesehen haben muss, die Andrássy Straße, sie gehört auch zum Weltkulturerbe. Ich gehe sie einmal komplett runter. Links und rechts Prachtbauten aus dem ausgehenden 19-ten Jahrhundert, stimmig und gut. Aber bitteschön, warum muss eine sechsspurige lärmende Straße, dazwischen herführen? Die autogerechte Stadt mitten im Weltkulturerbe?

Budapest ist bekannt für seine vielen schönen Donaubrücken. Wirklich sehenswert. Ich stelle mich auf die Széchenyilánchid-Brücke, um die Aussicht auf die Donau, das Parlament, die Fischerbastei etc. zu geniessen. Nur leider donnert hinter mir der Verkehr inkl. Lastwagen und Bussen über die Brücke und direkt an beiden Donauufern verlaufen viel befahrene Straßen. Wer noch die Düsseldorfer Rheinpromenade ohne Tunnel kennt, weiß, was gemeint ist. Donauromantik kommt da nur schwer auf.

Jetzt gehe ich auf Entdeckungstour und da hat Budapest viel zu bieten. Denn unmittelbar abseits der Prachtstraßen findet sich eine komplett andere Stadt. Viele alte Gebäude, manche restauriert, manche noch nicht, einige verfallen, viele kleine Läden, Lokale, eine alternative Szene. Nicht wie Paris, sondern wie Berlin, früher, vor der Gentrifizierung. Ein vielfältiges Leben tummelt sich hier abseits der Touristenströme.

Auch kulinarisch hat Budapest viel zu bieten. Das Kaffeehausleben steht dem Wiens nur wenig nach. Ich wähle das traditionsreiche, noble Café New York mit üppiger Ausstattung, über 100 Jahre alt, schöner Live-Klaviermusik und gutem Essen. Danach in eine der Ruinenkneipen, die zuerst in den Hinterhöfen baufälliger Gebäude entstanden sind, mit Möbeln von sonstwoher. Hier gab es ursprünglich keine zwei gleichen Tische oder Stühle.

Und so kann ich in Budapest einen schönen Kulturspagat hinlegen und bin anschließend mit dieser Stadt dann doch wieder versöhnt.


PS.
“Ach, Sie waren in Venedig? Interessante Geschichte mit dem Löwen und der Bibel, nicht wahr? Begegnet einem ja einfach überall dort.”
Kleine Kopfnuss.
Gaby kennt die Auflösung.