Stalin – ein lupenreiner Demokrat

Gori, Georgien

93. Reisetag

4890 Kilometer

Es gibt eine Stalinallee, einen Stalinplatz, einen Stalinpark, mehrere Stalinstatuen, wahrscheinlich auch einen Stalinkindergarten, eine Stalinschule, ein Stalinseniorenwohnheim und eben ein Stalinmuseum. Deswegen bin ich eigentlich hier, in Gori.

Stalin, einer der schlimmsten Massenmörder des letzten Jahrhunderts, wurde hier geboren. Weltweit darf man ihn inzwischen im gleichen Atemzug mit Hitler nennen. Das soll was heißen.

Eigentlich ist ganz Gori ein Museum dafür, welchen irren Personenkult die sowjetischen Kommunisten betrieben haben. Im Jahre 1930 wurde die Stadt komplett neu entworfen, nur um dem “großen” (er maß nur 1,69m) Sohn der Stadt zu huldigen. Auch die Nachbarschaft, in der er aufwuchs, wurde abgerissen. Einzig das kleine Häuschen, in dem seine Eltern ein Zimmer gemietet und Klein-Stalin die ersten vier Jahre seines verhängnisvollen Lebens verbracht hatte, durfte bleiben. Es wurde mit einem säulenbestandenen Tempel umbaut und taugt als Pilgerstätte für Stalinanbeter. Dahinter das große Museum, natürlich im prachtvollen stalinistischen Stil. Es enthält auf mehreren Etagen alles über Stalin und seinen Werdegang. Nur leider nicht die Wahrheit. Nichts über seine Verbrechen, nichts über die Deportationen, nichts über die Arbeitslager, die Vernichtung Andersdenkender. Nichts!

Und selbst das wäre nicht mal schlimm, wenn man bewusst das Museum genau so erhalten wollte, um den sowjetischen Stalinkult in seiner übelsten Form unverfälscht zu zeigen. Dies müßte man aber auch entsprechend dokumentieren und anderer Stelle über die Untaten aufklären.

Und in der Tat gab es sogar solche Bestrebungen. Im Reiseführer sind zwei mickrige Zimmerchen unterhalb der Treppe erwähnt, in denen Informationen zu den Gräueltaten zu finden sein sollen.

Zusammen mit einem holländischen Pärchen, das übrigens mit einem alten VW-Campingbus hergekommen ist, erkunde ich das Museum. Wir finden die beiden Räume nicht und so erkundigen wir uns danach. Man erklärt uns, dass sie auf Geheiss des Direktors kürzlich “destroyed” worden sind. Keine Begründung, es gibt sie einfach nicht mehr. Wir können es kaum fassen. Eigentlich hatte uns nur das interessiert. Kopfschüttelnd verlassen wir diesen gespenstigen Ort und sind uns einig:

Dies gibt eindeutig einen ganz heftigen PUNKTABZUG!


PS. Im Nationalmuseum in Tiflis wird die sowjetischen Besatzung Georgiens von 1921 bis 1991 auf einer ganzen Etage schonungslos aufgearbeitet. Hier werden auch die Opfer der Gewaltherrschaft beziffert. Es sind mehr als 800.000 Menschenleben nur in diesem kleinen Land.