Frederic fährt ostwärts


26.05.2023
  
  : 25°C
Weißkirchen, Autonomna Pokrajina Vojvodina / Serbien

Blitz und Donner

Ab jetzt geht's unten kurz und oben kurz weiter. Der neuseeländische Stil ist aus thermodynamischen Gründen nicht mehr zu halten. Es ist warm.

Unter Donnergrollen und blitzen in der Ferne lasse ich Belgrad hinter mir. Kurz hinter der Stadt, ich habe mich noch nicht einmal warmgeradelt, sehe ich in einer kleinen Hütte einen Soloveloisten sitzen. Auf dem Gepäckträger prangt die dänische Flage.

Kurt ist letztes Jahr von Amsterdam nach Zypern geradelt, hat auf der Insel überwintert, und fährt jetzt wieder nach Hause zurück. Während wir quatschen geht der erste kleine Regenschauer nieder. Von Kurt bekomme ich allerwertvollste Tipps, wie ich den größten Verkehr um Istanbul mit Fährverbindungen elegant umschiffen kann; was für ein Gewinn!

Nach dem Schauer breche ich auf, doch Blitz und Donner sollen mich den ganzen Tag über begleiten. Ich bekomme immer wieder zwischendurch ein paar Tropfen ab, doch meist finde ich rechtzeitig Unterschlupf um halbwegs trocken zu bleiben.

Beim Nachmittagskaffee, geht es an den Nachbartischen politisch hoch her. Es fallen Worte wie diese (in abfallender Häufigkeit sortiert): Amerikanski, Franzki, Ingleski, Putin, NATO, Ukraine... aber auch Real Madrid und Schalke; gut dass ich sonst nichts verstehe. Ich zahle 60 Dinar für meinen türkischen Kaffee (umgerechnet 55 Cent). Weiter geht's.

Es dröppelt mal wieder. doch diesmal lassen sehr dicke Tropfen Hagel vermuten – und so kommt es auch. Ich schaffe mich rechtzeitig unter einen Unterstand auf dem Grundstück einer Familie zu lächeln.
Nach dem ich den standesgemäßen šljivovica, wie immer mehrmals höflich ablehne (mit dem entschuldigenden Verweis, dass ich keinen Alkohol trinke), bekomme ich Erdbeeren und kleine herzhafte Kuchen im Überfluss gereicht. Der Hagel prasselt, während die ganze Familie sich vorstellt. Alle sind ungemein herzlich. Als der Himmel im Osten ein wenig aufreißt, winke ich den lieben Menschen adieu.

Wer spät loskommt und sich dauernd vor beladenen Wolken wegducken muss, den belohnt die Dämmerung mit einem Frosch-Slalom auf dem Deichweg. Den grünen Kerlen mit den schwarzen Punkten gefällt das Feuchte ganz offensichtlich und ich habe meine Mühe ihnen auszuweichen.

Immer wieder erhellen Blitze den dunkelgrauen Hinmel. In alle Richtungen blitzt und donnert es und mir ist, so exponiert auf dem Deich, nicht ganz wohl dabei. Ein weiteres Mal muss ich also Schutz suchen und finde ihn bei den Wachmännern Mile Nenek und Dejan in ihrem Häuschen. Es gibt Tee und Staatspropaganda. Das Fernsehen scheint bloß von der, Gegenveranstaltung samt großem Statistenaufgebot zu berichten, die von der Regierung bzw. vom Präsident organisiert wurde und natürlich vom Steuerzahler bezahlt wird. Vom Podium werden von verschiedenen Rednern so oft die Wort "Serbien" und "serbisch" geschrien, dass ich mich Frage, ob der Regierung überhaupt einen Ansatz zur inhaltlichen Überzeugung wagt. Von den eigentlichen Protesten in Belgrad bzw. den Demonstrationen gegen den Status Quo sehe ich nichts.

Die Nacht bricht herein und auf den letzten 15 km verlässt mich dann der Wettergott. Während ich über die seichten Hügel fahre, dampft mir zunächst bloß der Regen der vorangegangenen Stunde von der warmen Straße entgegen. Doch dann fängt es dermaßen an zu schütten, dass mir die Schuhe über das Wasser an den Beinen in kurzer Zeit volllaufen und ich den Regen, der mir von der Wange rinnt, in kleinen Schlücken trinken kann.

Während ich im Deichgras den Fröschen ausweichen musste, so sind es auf der Straße Kröten, die dem vielen Wasser frönen. Zum
Glück sind diese deutlich größer und auf dem Asphalt viel besser zu erkennen. Durch die immer wieder aufflackernden Blitze bekomme ich ab und zu immerhin eine Ahnung von der ansonsten pechschwarzen Umgebung, die mein kleiner Scheinwerfer natürlich nicht auszuleuchten vermag.

Klitschnass gewährt man mir im Gasthaus am Fähranleger um kurz vor zehn (22:00h) glücklicherweise noch ein Zimmer. Bei offener Balkontür lausche ich den Vögeln, die in der Dunkelheit auch noch um 01:00 Uhr morgens trillern.

Heute gefahren: 99 km und 90 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus nord-westlicher Richtung, Böen bis 18 km/h. Tagestemperatur zwischen 14°C und 24°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 100 %, Regenmenge: 4.81 mm.
25.05.2023
  
  : 25°C
Stari Grad, Zentralserbien / Serbien

Hauptstadt Jugoslawiens, Tag 6:

Der Tag der Jugend war ein gesetzlicher Feiertag in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, der von 1957 bis 1988 jeden 25. Mai gefeiert wurde.

Nach kurzer und dennoch reiflicher Überlegung habe ich entschieden, dass mein Geburtstag nunmehr, ab dem 25. Mai 2023, ebenso als Tag der Jugend zu begehen ist.

Übernachtung: Backpacker Hostel
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 14 km/h aus nördlicher Richtung, Böen bis 32 km/h. Tagestemperatur zwischen 16°C und 25°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 88 %, Regenmenge: 4.13 mm.
24.05.2023
  
  : 21°C
Stari Grad, Zentralserbien / Serbien

Belgrad, Tag 5:

Doing even less

Übernachtung: Backpacker Hostel
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 18 km/h. Tagestemperatur zwischen 15°C und 25°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 90 %, Regenmenge: 9.37 mm.
23.05.2023
  
  : 27°C
Stari Grad, Zentralserbien / Serbien

Belgrad, Tag 4:

Doing not a lot

Übernachtung: Backpacker Hostel
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 18 km/h. Tagestemperatur zwischen 15°C und 25°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 90 %, Regenmenge: 9.37 mm.
22.05.2023
  
  : 26°C
Stari Grad, Zentralserbien / Serbien

Belgrad, Tag 3:

Change of scenery; from hotel to hostel

Übernachtung: Backpacker Hostel
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 18 km/h. Tagestemperatur zwischen 15°C und 25°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 90 %, Regenmenge: 9.37 mm.
21.05.2023
  
  : 26°C
Stari Grad, Zentralserbien / Serbien

Belgrad, Tag 2:

Saying good bye to Phil

Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 18 km/h. Tagestemperatur zwischen 15°C und 25°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 90 %, Regenmenge: 9.37 mm.
20.05.2023
  
  : 24°C
Stari Grad, Zentralserbien / Serbien

Belgrad, Tag 1:

Seeing sights with Phil

Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 18 km/h. Tagestemperatur zwischen 15°C und 25°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 90 %, Regenmenge: 9.37 mm.
19.05.2023
  
  : 20°C
Stari Grad, Zentralserbien / Serbien

Auf zur vierten und letzten Hauptstadt an der Donau

Bei der Proviantbesorgung auf dem Markt in Novi Sad stoßen wir auf Benedikt und Max, die gerade ihre Räder abschließen um ebenfalls einzukaufen. Die beiden bayrischen Buben sind in Wien gestartet und auf dem Weg nach Belgrad.

Nach dem wir die alten Befestigungsanlagen der Stadt am Südufer hinter uns gelassen haben, gelangen wir nach wenigen Kilometern auf einen kleinen Weg und entgehen somit dem starken Verkehr, und mit ihm den LKWs.
Nun fahren wir auf einem unbefestigten Pfad durch dichtes Grün an kleinen Gärten und Häusern vorbei. Während die in Sichtweite verlaufende Bahnstrecke durch neue Tunnel und somit durch die Hügel führt, müssen wir jedoch im kleinen Gang hinüber.

Die Industrialisierung des Ackerbaus ist hier scheinbar noch nicht gänzlich abgeschlossen. Auf großen Plakaten werden Saatgut und die passenden Pestizide beworben. Schon am Vortag war mir so manches bunte Schild am Rande eines Feldes aufgefallen, das den Markennamen des Saatguts oder dessen Hersteller auswies.

60 km nordwestlich von Belgrad erstreckt sich über 30 km (auf 15 km Breite) eine große Eben, die ungefähr 100 m über der Donau liegt und zu dieser steil abfällt.
Dort wird in großem Stil Obst und Wein angebaut, weshalb mich die Gegend ein wenig an Südtirol erinnert. Wie in den meisten Dörfern zuvor, säumen auch hier die Straßenränder jede Menge Walnussbäume.

Kurz vor der Dämmerung erreichen wir mit Zemun, den östlichsten Stadteil, der serbischen Hauptstadt und stolpern in William Luis Violinö. Dieser bunte Vogel in den besten Jahren ist auf seinem Fahrrad zu Hause. Er fährt gerade von seiner Wahlheimat Italien quer durch den Balkan und möchte weiter durch die Türkei und Georgien. Dank seines argentinischen Passes, kann sich William eine Rund-bzw. Rückreise über Russland erlauben. William spricht freudig und ungeniert in einem aberwitzigen Tempo Spanisch, sodass wir gerade so hinterher kommen. Er spricht kein Wort Englisch.

Heute gefahren: 96 km und 400 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 14 km/h aus westlicher Richtung, Böen bis 14 km/h. Tagestemperatur zwischen 16°C und 25°C, Nachttemperatur 19°C. Regenwahrscheinlichkeit: 93 %, Regenmenge: 3.94 mm.
18.05.2023
  
  : 12°C
Novi Sad, Autonomna Pokrajina Vojvodina / Serbien

Ein kurzer Fahrradtag schafft Zeit und Muße für einen Stadtbummel

Im Nieselregen geht es los und deshalb freut uns die begrenzte Aussicht, auf die heute doch relativ kurze Etappe. Die Störche, deren zahlreiche Nester uns auch an den vorangegangenen Tagen in beinahe jedem Ort aufgefallen sind, scheinen den Regen und das Einheitsgrau stoisch zu ertragen. Bloß ihr gelegentliches Schnabelklappern lässt erahnen, dass diese majestätischen Kreaturen auch banale Bedürfnisse besitzen.

Außerhalb der Ortschaften sehen wir immer wieder kleine Ansammlungen von Wohnwagen zwischen den Bäumen und entlang der Nebenarme der Donau stehen, die vermutlich dem anglerischen Zeitvertreib am Wochenende dienen.

Auf halbem Weg nach Novi Sad kommen allmählich Hügel zwischen den tiefhängenden Wolken zum Vorschein. Es sind seit langem die einzigen Erhebungen, in der bis dahin weitestgehend flachgebügelten Donauebene.

Nach dem sich die Wolkendecke ein wenig gelichtet hat, erreichen wir die Festungsstadt auf trockenem Asphalt, in trockenen Schuhen – ein Novum!

Beim Stadtbummel durch Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens,
erhärtet sich folgendes Bild: Während deutsche Handelsketten, mit den Marken Lidl und DM, eine starke Rolle im hiesigen Markt für Lebensmittel, Hygiene- und Kosmetikartikel spielen, so konzentriert sich das Kapital aus Österreich, unter den Namen Erste (Sparkasse) und Raiffeisen Bank, auf den lokalen Finanzsektor.

PS: In jeder serbischen Stadt scheint es mehr Apotheken, als verschreibungspflichtige Medikamente zu geben.

Heute gefahren: 48 km und 20 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 14 km/h aus nord-westlicher Richtung, Böen bis 29 km/h. Tagestemperatur zwischen 16°C und 25°C, Nachttemperatur 17°C. Regenwahrscheinlichkeit: 48 %, Regenmenge: 1.59 mm.
17.05.2023
  
  : 21°C
Bačka Palanka, Autonomna Pokrajina Vojvodina / Serbien

Nach mehreren Versuchen (mal wollte man uns nicht bedienen, mal drängelten sich Lokalpatrioten vor und mal fehlte uns das passende Bargeld) schaffen wir es doch noch ein Frühstück in Sombor zu bekommen und bestellen Omelett und Palatschinken. Nach der Stärkung geht es auf heitere, leicht bewölkte Reise.

In den Dörfern und Städten auf unserem Weg mischen sich zwischen die spitzen, katholischen Kirchhäuser immer häufiger orthodoxe Zwiebeltürme. Den Serben scheint es ein besonderes Anliegen zu sein, das Gras auf ihren Grundstücken möglichst kurz zu halten. In jeder Straße brummt ein Rasenmäher oder es dröhnt ein Kantentrimmer.

Außerhalb der Siedlungen, entlang der Deiche, stehen überall Bienenvölker in bunten Kästen.

Der Holunder steht in voller Blüte und gegen Abend winken wir einem alten Paar zu, das am Straßenrand die Dolden sammelt.

Bei unserem letzten Verpflegungsstop vor unserem Tagesziel Bačka Palanka, an einer Bushaltestelle in einem kleinen Ort, beobachten uns von der anderen Straßenseite neugierige Augen über den Gartenzaun hinweg. Schließlich traut sich ein Jugendlicher und sein Vater zu uns herüber und fragt, ob wir Hilfe benötigen. Wir verneinen, wollen jedoch die freundliche Einladung auf einen Kaffee nicht ausschlagen. Im Haus berichten mir die beiden kleinen Mädchen Ana und Emanuele mit leuchtenden Augen von allerlei Dingen, die ich leider nicht begreifen kann – verstehen tun wir uns dennoch wunderbar!

Durch den glücklichen Zwischenstopp bei der gastfreundlichen Familie erreichen Bačka Palanka zwar nach der Dämmerung, jedoch auch nach dem gröbsten Regen; juchhe!

Pünktlich zur Schlafenszeit stellt sich dann auch wieder mehr Regen ein und wir schlummern zum Trommeln der Tropfen vor dem Fenster zufrieden ein.

Heute gefahren: 115 km und 40 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 7 km/h aus süd-westlicher Richtung, Böen bis 7 km/h. Tagestemperatur zwischen 14°C und 27°C, Nachttemperatur 18°C. Regenwahrscheinlichkeit: 20 %, Regenmenge: 0.15 mm.
16.05.2023
  
  : 18°C
Sombor, Autonomna Pokrajina Vojvodina / Serbien

Heute geht's nach Serbien

Nach dem Frühstück treffen wir im Entreé des Hotels auf Oliver aus Rostock, dessen neongelber Niederflur-Hobel uns schon gestern aufgefallen war. Oliver ist von seiner Heimatstadt Rostock an den Bosporus unterwegs.
Die letzten regnerischen Tage haben Oliver ein wenig demotiviert und wir versuchen ihn ein wenig aufzumuntern – vor allem mit der Aussicht, dass ab Samstag die Sonne scheine und damit die gute Laune zurückkehre. Oliver wird dennoch einen Tag Pause machen und erst am nächsten Tag weiterfahren.

Bevor wie aufbrechen, geht es zunächst auf Shoppingtour. Gestern hatten wir den Tag über zu wenig gegessen, dass soll uns heute nicht passieren. Dabei kaufen wir auch ein paar Dinge für Oliver ein und besorgen ihm insbesondere, nach einer kleinen Tingeltour durch die lokalen Handyshops, eine neue Powerbank, da seine (wohl feuchtigkeitsbedingt) den Dienst quittiert hat. Nach der Übergabe und Verabschiedung von einem überglücklichen Oliver, brechen wir kurz nach Mittag auf.

Auf dem Weg treffen wir auf "Eve, like from the Bibel", die am Deich ihre Schafe hütet. Nach einem kurzen Wortwechsel gibt uns Eve folgenden Empfehlung mit auf den Weg:
"Read the Bible! Jesus will come soon and you will be saved. I'm not religious, but I know the king is coming soon."

Während zur Rechten das Espenlaub rauscht, denke ich an unsere morgendliche Powerbank-Shoppingtour zurück, bei der wir uns mit den Händlern und Innen so gut wie gar nicht verständigen konnten. Mit der Schäferin Eve hingegen, konnten wir uns leicht auf Englisch austauschen.

An einem Fähranleger machen wir kurze Rast und treffen auf Anton, dessen Großvater aus Bayern stammt, Livia, die Germanistik studiert hat, sowie auf Dorina. Livia hat Brennnesselblätter und andere Blüten gepflückt, um ihren Husten zu kurieren. Anton hat duftende orangefarbene Baumpilze gesammelt, die er zum Broterwerb auf dem lokalen Markt verkauft.

Wir fahren weiter. Mit dem aufkommenden Wind fangen die Grillen an zu zirpen. Rot- und Schwarzwild kreuzt unseren Weg und Fasane gleiten in ihrem bronzefarbenen Gefieder im Tiefflug über die saftig grünen Gerstenähren.

Es geht auf die serbische Grenze zu, eine harte EU-Außengrenze – was schwer zu übersehen ist. Barrieren aus Stacheldraht und Elektrozäunen, sollen einen Übertritt unmöglich machen. In Sichtweite der Grenze stehen überall blaue Klohäuschen, die vermutlich nicht dazu gedacht sind Flüchtlinge willkommen zu heißen, sondern Grenzpatrouillen dienen sollen.

Nach einem letzen Kaffee in der Union und dem Passieren des ungarischen sowie des serbischen Grenzpostens, fallen uns drei Dinge auf:
Erstens, haben die Häuser im Schnitt mehr Löcher in den Wänden und weniger Putz an der Fassade, als in der EU.
Zweitens, fahren auf den Straßen zunächst sehr wenige Autos (was natürlich durchaus angenehm ist).
Und drittens, winken und grüßen die Serben sehr freundlich, und teils sogar auf Englisch.

In der Abenddämmerung riecht es wunderbar süß, wie von Jasminblüten und immer wieder ruft der Kuckuck.

Wir erreichen unsere Herberge dreieinhalb Minuten bevor der erwartete Gewitterregen niederprasselt.

Heute gefahren: 97 km und 100 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Ein paar Wolken. Wind mit 14 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 25 km/h. Tagestemperatur zwischen 14°C und 25°C, Nachttemperatur 18°C. Regenwahrscheinlichkeit: 39 %, Regenmenge: n.a.
15.05.2023
  
  : 15°C
Baja, Komitat Bács-Kiskun / Ungarn

Nach einem langen und sehr erholsamen Schlaf, zeigen sich am Morgen doch tatsächlich ein paar Sonnenstrahlen. Zum Glück konnten wir unsere Fahrräder noch am Vorabend mit Hilfe unseres sehr hilfsbereiten und freundlichen Gastgebers Feri ausgiebig säubern, da sich der Schlamm in allen möglichen und unmöglichen Ecken festgesetzt hatte.

Unser Frühstück besteht aus allerlei Blätterteiggebäck, dass wir auf einem runden Platz mit den lokalen Spatzen teilen.

Nach wenigen Kilometern schwant uns, dass hier ein neuer Wirtschaftszweig zur Blüte getrieben wird, nämlich: Fahrradmassengruppentourismus! Ein um die andere Radfahrgruppe kommt uns in Neon-Laibchen entgegen; immerhin meist freundlich von ihren Leih-Schlitten winkend. Ab hier wird, scheinbar der Radtouristen wegen, das Gras links und rechts des Weges kurz gehalten.

Nach 30 Kilometern machen Philippe und ich an einem Spielplatz Rast, essen die am Morgen beim Bäcker erstandene Labber-Pizza und legen uns für ein Päuschen auf die Bänke (wobei wir gleichzeitig den neugierigen Kameras des Google-Street-View-Cars entgehen).

Die Ungarn lieben Orchideen. Gelbe Orchideen, blaue Orchideen, rote Orchideen, alle Farben von Orchideen - die hier tatsächlich heimisch sind - stehen in den Vorgärten und an den Straßenrändern.

Nach unsere Pause überholt uns einer mit sehr leichtem Gepäck. Aus Neugierde hole ich ihn wieder ein und frage wo er herkommt und wo er hinfährt. Payton ist in Lissabon aufgebrochen und fährt nach Konstanza, das an der rumänischen Küste am Schwarzen Meer liegt. Payton sammelt mit seiner Tour Spenden um Outdoor-Sportgeräte in Gegenden mit sozialen Brennpunkten aufzustellen.
Er lebt und arbeitet in Austin, Texas, und ist in Palo Alto (San Francisco Bay Area), Kalifornien aufgewachsen. Er liebt es in seiner Freizeit nicht vor dem Computer sitzen zu müssen und sitzt stattdessen jeden Tag 125 Meilen im Sattel.

Mehrmals sehen wir Krähen (ich glaube jedenfalls es sind keine Raben) die Falken (vermutlich keine Bussarde) hinterher jagen und sie vertreiben. Es ist ein merkwürdiges Schauspiel.

Am Ende des Tages holt
uns dann doch noch wieder ein leichter Regen ein, doch Philippes Handy sieht sich heute immerhin nicht genötigt, einen Feuchtigkeitsalarm zu geben (der hatte gestern, zumindest in meinen Ohren, wie ein elektronischer Frosch getönt; Philippe hatte den Ursprung des Geräuschs jedoch beharrlich seinem Fahrrad zugeordnet).

Nach dem Einchecken in unseren Wellness-Palast, auf dem Weg zum Lift, fällt scheinbar (ich kann es nicht genau sehen) etwas aus Phillipes Tasche.

F: "Philippe, what happened? Do you need help?"
P: "I hate this, when things are annoying!"

Heute gefahren: 96 km und 50 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 25 km/h aus östlicher Richtung, Böen bis 47 km/h. Tagestemperatur zwischen 13°C und 19°C, Nachttemperatur 14°C. Regenwahrscheinlichkeit: 100 %, Regenmenge: 9.41 mm.
14.05.2023
  
  : 10°C
Donaufeldburg, Tolna / Ungarn

Singing in the rain and sinking in the drain

Ab Budapest geht's gen Süden... was jedoch nicht bedeutet, dass jetzt nur noch eitel Sonnenschein vorherrscht - ganz im Gegenteil!

Es regnet schon am Morgen und es soll den Tag über noch viel mehr regnen.

Heute ist Philippes Ehrentag. Beim ersten und einzigen Geburtstags-Kaffee-und-Kuchen-Stop, quatsche ich Jan an. Jan kommt aus Belgien und lebt mit bzw. für seine Freundin in England. Mit seinem 25 Jahre alten Drahtesel hat er sich aufgemacht, um zum Start eines Ultramarathons zu rollen:
Von Paris bis Bran, wird er fahr'n.
In Transsilvanien wird er versuchen, die sehr hügeligen 100 km in unter 20 Stunden zu absolvieren - da kann vorher eine stramme Fahrradtour sicher nicht schaden.

Wir fahren die meiste Zeit zu dritt. Es wird immer matschiger und immer noch nasser, von oben wie von unten und manchmal auch von der Seite durch vorbeifahrende Fahrzeuge. Ich singe, wir singen; es macht sehr viel Spaß zu dritt.

Während die beiden Jungs schon auf lange Regenhosen umgestiegen sind, bleibe ich meinem Stil treu, und unten kurz.

Wege und Straßen sind voller kleiner und großer Wasserlöcher, die sich natürlich nicht immer umfahren lassen. Irgendwann ist es auch egal, schließlich sind wir schon lange komplett durchnässt.

Kurz vor Dunaföldvár, unserem Etappenziel, biegt Jan nach Osten bzw. Rumänien ab - er ist schließlich nicht wie wir bloß zum Spaß hier, sondern hat auch noch eine Primärmission zu erfüllen.

Am Abend lassen Philippe und ich uns am Donauufer bewirten und spachteln in vollgelaufenen Schuhen für ingesamt 3,5 Personen.

Heute gefahren: 109 km und 90 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 18 km/h aus süd-östlicher Richtung, Böen bis 36 km/h. Tagestemperatur zwischen 11°C und 17°C, Nachttemperatur 13°C. Regenwahrscheinlichkeit: 100 %, Regenmenge: 7.7 mm.
13.05.2023
  
  : 13°C
VI. Budapester Bezirk, Budapest / Ungarn

Der frühe Vogel macht früher mehr Kilometer.

Am Frühstückstisch spreche mit einer freundlichen Angestellten meines Pizzeria-Hotels. Sie spricht Deutsch, Englisch Slowakische und Ungarisch. Vor Corona wollte sie eigentlich etwas anderes machen, im Bildungsbereich arbeiten. Daraus wurde Pandemie-bedingt leider nichts. Nun arbeitet sie wieder im Dienstleistungsbereich.

Auf geht's und los. Zunächst über die Brücke nach Ungarn und dann weiter die Donau hinunter - natürlich.

Während die Bürgersteige in Ungarn teils grausig anmuten, sind die neuen, wenn auch wenigen Abschnitte des Euro-Velo-Fahrradwegs in hervorragendem Zustand. Im krassen Kontrast dazu stehen viele Industrieruinen links und rechts der Strecke. Der Glanz vergangener Sowjetzeiten ist schon lange verblichen - und die Farbe auch.

Die meiste Zeit verläuft meine Route jedoch auf den mehr schlechten als rechten Straßen. Nach 30 km fallen mir zwei kleine Klappradgepäckträger mit Überbreitengepäck auf. Noel und Chang aus Hongkong sind auf dem Weg von Passau nach Budapest. Ich sage freundlich Zàijiàn (da mein Kantonesisch noch schlechter als mein Mandarin ist) und begegne nur 10 Sekunden später einem weiteren asiatischen Pärchen.

Ab Tageskilometer 40 fallen mir mehr und mehr Polizisten auf, die am Rand der Straße und an den Kreuzungen stehen. Ich frage mich, wen die wohl suchen. Bei der Ortsdurchfahrt in Gran wird mir dann klar, dass ich auf dem Streckenabschnitt eines Radrennens unterwegs bin; genauer des Rennens in Ungarn: der "Tour de Hongrie". Auch wenn viele Leute interessiert und manchmal freundlich gucken, so werde ich es wohl nicht in die Tagesnachrichten schaffen.

Bei Visegrád helfe ich Peter sein Hinterrad zu demontieren, damit er seinen Schlauch flicken kann. Auf meine Frage, woher er komme, antwortet er: "I am a local hero."

Nach 15 Tagen im Sattel und mehr als 1'900 Kilometern erreiche ich endlich Budapest - juste pour rencontrer mon bon ami Philippe.

Heute gefahren: 129 km und 160 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 25 km/h aus östlicher Richtung, Böen bis 54 km/h. Tagestemperatur zwischen 9°C und 12°C, Nachttemperatur 12°C. Regenwahrscheinlichkeit: 100 %, Regenmenge: 20.05 mm.
12.05.2023
  
  : 13°C
Komárno, Nitriansky kraj / Slowakei

Langschläfer Tag

Die Strategie, den Regen zu verschlafen, ist fast aufgegangen.

Auf Rados Rat hin, optimiere ich meine Regenroute mit einer tschechischen App, die alle möglichen Fahrradwege, und auch den Verlauf von langen Routen, wie der des EuroVelo 6 kennt; mega!

Beim Morgenkaffee im Hostel lerne ich Alexander aus den Niederlanden kennen, der auf einer Kreuz-und-Quer-Interrail-Tour ist. Nach dem er in Skandinavien war, wollte er eigentlich zu Freunden nach Spanien; fährt nun aber auf halbem Weg von Bratislava wieder nach Norden, an die Ostsee bzw. nach Danzig.

Der Kontrast zwischen den Hauptstädten Wien, einer riesigen Renaissance-Prachtstadt und Metropole, und dem eher verträumt wirkende Bratislava könnte kaum größer sein. Dabei trennen die beiden Städte nur ca. 70 Flusskilometer.

So langsam zwicken die Sprunggelenke; nun ja:
mit Voltaren, wird es geh'n.

Nach Querung der Donau sehe ich eine ältere Dame, die mit Klapprad, großem Rucksack, Regenhose, Sandalen und Wollsocken aufgebrochen ist. Ich frage sie, ob sie ein Bild von sich möchte und ich auch eins für mich machen könne. Sie willigt kaum hörbar ein. Ich bekomme zudem heraus, dass sie in Wien losgefahren und mit Zelt unterwegs ist. Wohin sie fährt, erfahre ich nicht.

Regentage sind Schneckentage. Kleine und große verzierte Häuschen kreuzen meinen Weg.

Dieser Teil der Donau ist mittlerweile zu einem Binnenmeer angeschwollen, dass in keiner Weise mehr den Charakter eines Flusses oder Kanals besitzt. Die Slowaken haben hier ganze Arbeit geleistet und, im wahrsten Sinne des Wortes und im großen Stil den Ungarn das Wasser abgegraben. Das Wasser der Donau wird durch riesige Dämme nördlich des alten Flussbetts (das immer noch ein wenig Wasser führen darf) und somit der Grenze gehalten, und über zig Kilometer aufgestaut. Schleusen und Kraftwerk am Ende der Dämme stehen auf slowakischem Boden. Demnach gehört der produzierte Strom (bis zu 720 MW Leistung) auch der Slowakei.

Ansonsten verläuft der Tag aufregungslos. Regen, Nieselregen, kurze Pause, wieder Regen und natürlich Wind - Gegenwind versteht sich.

Einzig Hasen und Rehe scheine dieses Wetter zu lieben.

Heute gefahren: 107 km und 110 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 22 km/h aus östlicher Richtung, Böen bis 47 km/h. Tagestemperatur zwischen 9°C und 12°C, Nachttemperatur 12°C. Regenwahrscheinlichkeit: 100 %, Regenmenge: 20.01 mm.
11.05.2023
  
  : 19°C
Bratislava, Bratislavský Kraj / Slowakei

Tag der Hauptstädte – der großen und der kleinen

Ein Mann bricht vor allen anderen sein Zelt am Morgen ab. Martin kommt aus Leipzig, lebt allerdings seit mehr als 20 Jahren in Budapest mit seiner Frau. Jeden Sommer fährt er mit dem Fahrrad nach Hause; so auch diesen.

Nach Tee und Haferbrei, den wir mit Willis Benzinkocher aufgekocht haben, geht es weiter.

Ob des kontrastreichen Motivs quatsche ich bei Tulln einen pausierenden Rennradfahrer an. Leopold ist 72 und fährt jeden Tag 60 schnelle Kilometer auf seinem Rennrad. Insgesamt verbringt er 18'000 km pro Jahr auf dem Rad, denn er fährt auch im Winter fährt. Schwimmen tut er freilich auch.

Nach 50 km erreichen wir die erste Hauptstadt an der Donau: Wien. Während ich Linda zu einem späten Lunch treffe, fährt Willi in die WG seines Freundes Kurt, wo er zwei Nächte verbringen wird.

Um 19 Uhr fahre ich weiter und quäle mich durch den Verkehr und über unzählige Ampeln aus der Stadt.

Hinter Wien fahre ich die meiste Zeit auf dem Deich, links und rechts steht Wald. Eine schnurgerade Strecke zieht sich über viele viele Kilometer über die Deichkrone; immer gerade aus. Mit der Dämmerung kommt der Wind langsam zum Erliegen. Die Grillen zirpen. Bei Kilometer 101 schießt eine Bache mit ihren Frischlinge fast durch mein Scheinwerferlicht und quer über den Deich.

Es wird dunkel um mich herum. Fledermäuse fliegen dann und wann im Lichte meines Scheinwerfers vorüber. Nach Querung der Donau über eine Hängebrücke kann ich es nicht lassen, auf den nahen Hügel zu einer hübsch angeleuchteten Kirche zu pilgern. Ein kleiner Umweg darf noch sein.

Im Dunkeln passiere ich die letzte Stadt in Österreich, Hainburg an der Donau. Nun geht es ein kleinen Hügel hinauf. Ein Pärchen kommt mir auf der anderen Seite entgegen. Ein Mann und eine Frau laufen Hand in Hand, schweigsam und mit leicht gesenkten Köpfen auf dem Bürgersteig. In der Hand hält er ein Kasten mit vielen unterschiedlichen Karten darin; vermutlich mit den allerbesten Wünschen versehen.

Auf der Kuppe angekommen, kann ich in der Ferne die angeleuchtete und mir bekannte Bratislavaer Burg, die über der Hauptstadt der Slowakei thront, erkennen. Bald bin ich da.

Um 21:53 Uhr passiere ich die alte ausgediente Grenzstation an der Rückseite - auf dem neuen Fahrradweg. Hier stand schon lange kein slowakischer Grenzposten mehr.

20 Minuten später checke ich im Hostel von Rado ein. Kurioser Weise haben wir beide am gleichen Tag im Mai Geburtstag; er ist zwei Jahre jünger als ich.

Heute gefahren: 132 km und 260 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 22 km/h aus östlicher Richtung, Böen bis 47 km/h. Tagestemperatur zwischen 10°C und 10°C, Nachttemperatur 10°C. Regenwahrscheinlichkeit: 94 %, Regenmenge: 8.14 mm.
10.05.2023
  
  : 17°C
Zwentendorf, Niederösterreich / Österreich

Es wird politisch

Nach dem Frühstück in meiner Pension mit einem sehr gemütlichen Einbettzimmer bei Frau Kloibhofer, geht es unter grauen Himmel weiter.

Meine langen Handschuhe habe ich gestern bei einer Gepäckrevision wiedergefunden. Natürlich; wie könnte ich auch etwas verlieren!

Ich habe Glück: heute weht kein Wind; dafür fällt bloß leichter Regen. Die wiedergefundenen Handschuhe kann ich gut gebrauchen. Ich fahre los, durch das graue Tal und an ebenso grauen Dörfern vorbei.

Der Regen wird weniger und hört schließlich nach ca. 40 km ganz auf. Ich treffe auf Willi aus Nürnberg. Willi ist in Kasachstan geboren und im Frankenland aufgewachsen. Er ist zum ersten Mal auf großer Fahrradtour. Willi wollte eigentlich in der Türkei starten und Richtung Stan-Staaten bzw. Pamir. Nun ist er jedoch daheim losgefahren und schaut einfach wie weit er kommt und möchte. Normalerweise legt Willi leidenschaftlich mehrere Seillängen in der Vertikalen zurück, statt eintöniger Straßenkilometer in der Horizontalen.

Doch mit politischer Verve wird kein einziger der folgenden gemeinsamen Kilometer fad. Über den Einzelheiten unserer hitzigen Diskussionen, die die Kilometer unmerklich dahinschmelzen ließen, möchte ich den Leser an dieser Stelle lieber nicht langweilen.

In der Wachau fahren wir durch viele Weingärten, über die die Klöster von der Ferne wachen. Wir lassen die Stadt Krems hinter uns. Ab hier sind es weniger als 2’000 Flusskilometer bis zum Meer.

Der Himmel klart ein wenig auf und prompt bläst uns auch schon wieder ein mäßiger Wind aus Osten entgegen.

Kurz vor dem angepeilten Campingplatz, nehmen Willi und ich unser Abendmahl in durchaus kurioser Lage ein. Ein Wirt ließ eine alte Almhütte in Tirol abbauen und genau vor der niederösterreichischen Investitionsruine, des nie in Betrieb gegangenen Atomkraftwerks Zwentendorf wieder aufbauen.

Am kleinen Zeltplatz angekommen, bereiten Willi und ich unsere Nachtlager. Nebenan hat Maitame aus Bilbao, die in Freiburg promoviert, ihr Zelt aufgeschlagen.

¡Buenas noches!

Heute gefahren: 112 km und 150 hm
Übernachtung: Camping
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 25 km/h aus süd-östlicher Richtung, Böen bis 36 km/h. Tagestemperatur zwischen 11°C und 17°C, Nachttemperatur 11°C. Regenwahrscheinlichkeit: 62 %, Regenmenge: 0.76 mm.
09.05.2023
  
  : 21°C
Grein, Oberösterreich / Österreich

Es ist ein wunderschöner, sonniger Morgen, doch nach der kurzen Ruh, stecken mir die letzten kühlen Kilometer der vorangegangenen Nachtfahrt noch ein wenig in den Knochen.

Ich wache inmitten eines schmalen Tals auf, durch das sich die Donau schlänget. Nach Frühstück vom
Büffet - glücklicherweise gehört der kleine Campingplatz zu einem Gasthof - fahre ich (schon wieder) 5 km zurück, diesmal um meine Handschuhe zu suchen, die ich hier irgendwo in der Nacht verloren haben muss. Statt meiner Handschuhe finde ich zehn Euro.

Nun ja; immerhin geht es nun bei Tage durch die sogenannte Donauschlinge, was natürlich viel schöner als das Schwarz der Nacht anzusehen ist. Die Hänge gehen steil nach beiden Seiten hinauf, die Vögel zwitschern von den Bäumen und von der anderen Seite ruft ein Pfau - vermutlich nach einer Frau.

Laut Wetterbericht (wie ich gestern kurz vor Passau gelernt hatte) ist heute der letzte richtig schönen Tag in der Region. In der Gegend um Linz sollen morgen mehr als 16 mm Regen fallen, und dass zur besten Radlzeit. Drum versuche ich heute wieder so viel Strecke wie möglich zu machen.

An einem Fähranleger höre ich auf den Rat von Joseph und überquere mit ihm die Donau, um den gesperrten Radweg auf der nördlichen Donauseite zu umfahren, anstatt die hügelige E-Bike-Alternativroute zu nehmen. Wir fahren eine Stück gemeinsam, unterhalten uns über dies und das, und den Krieg in der Ukraine. Als wir an einem Angler vorbeifahren, frage ich Joseph, ob er auch gerne angle. "Das wäre das Letzte!", sagt er mit einem Lächeln. Ich lache zustimmend zurück.

Alsbald kommt uns eine maulende Fahrradfahrerin entgegen, woraufhin mir Hans erklärt, dass es seit kurzem gesetzlich erlaubt sei, auf dem Fahrrad nebeneinander zu fahren.

Bei Untermühl verabschiede ich mich von Josef, der mit seinem
E-Bike den Berg nach St. Martin hinauf saust, und nehme eine weitere Fähre um abermals die Seite zu wechseln. Ein Fels auf dem ein Kettenturm steht - der dem hiesigen Burgherrn vor langer Zeit wohl einen gehörigen Zoll beschert hat - verhindert hier nämlich die Weiterfahrt.

Auf der Fähre spricht mich eine Frau an und fragt, wo ich hinfahre. Ich antworte, dass ich ans Schwarze Meer möchte. Daraufhin bemerkt eine andere Frau der selben Gruppe: "Oh, das ist doch sicher hinter Wien."

Bei Aschach quere ich die Donau ein weiteres Mal, diesmal
per Viadukt. Das Servus sitzt mittlerweile; zumeist bekomme ich jedoch nun ein "Grias di" zurück. Vielleicht sollte ich wieder auf Universaldeutsch wechseln.

Tageskilometer 46: das Tretlager knackt - wieder! Mal schauen, wie lange es erträglich bleibt.

Heute ist Gegenwind-Etappe. Auf dem Deichweg ab Linz weht mir eine stetige und steife Brise von Osten entgegen - und das ist gut so, denn es bedeutet, dass es das schlechte Wetter, dem ich versuche zu entfliehen, ebenso schwierig hat aufzuholen. (Vom Wald trägt der Wind dann und wann eine scharfe Prise Bärlauch in meine Nase.)

Immerhin trotzen mit mir auch viele andere Sportler dem
Wind, denn Linz ist nicht nur Friedensstadt (gemäß Ortsschild seit 1986), sondern auch Rennradlstadt!

Seit Down Under habe ich nun
mindestens 1’500 kontinentaleuropäische Fahrradkilometer hinter mir und verspüre dennoch hin und wieder bei einer Abzweigung den Drang, auf die linke Seite wechseln zu wollen.

In Grein,
lasse ich den Wind allein,
und kehre ein.

Heute gefahren: 125 km und 220 hm
Übernachtung: Private Pension
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 11 km/h aus östlicher Richtung, Böen bis 29 km/h. Tagestemperatur zwischen 7°C und 14°C, Nachttemperatur 10°C. Regenwahrscheinlichkeit: 29 %, Regenmenge: 0.1 mm.
08.05.2023
  
  : 14°C
Waldkirchen am Wesen, Oberösterreich / Österreich

Der Tag hat 25 Stunden

Nach Kaffeequatsch am Morgen breche ich Richtung Passau auf. Während ich mehr oder weniger gradlinig unterwegs bin, fährt Dine 50 km im Kreis und ihre Patienten ab.

Kurz außerhalb der Stadt treffe ich auf Hans, 71. Hans ist mit seinem Nicht-E-Bike Richtung Italien unterwegs. In eine paar Tagen wird er die Donau Richtung Süden verlassen und zum Brenner fahren. Dann geht’s für ihn über die Alpen nach Italien und an die Adria. Sein Traum ist es, bis nach Korfu zu gelangen.

Ein wenig weiter treffe ich auf Shiuran aus Iran, der zu kurdischer Musik in schnellem Lauf 10 km flussabwärts und wieder zurück läuft. Er arbeitet auf einem Flusskreuzfahrtschiff, das gerade festgemacht hat und von einem LKW betankt wird.

Kurz darauf fahre ich ein Stück mit Doris, die an ihrem freien Tag von Regensburg nach Straubing unterwegs ist.

Bei Tageskilometer 60 sehe ich Hans wieder, der bald sein Tagesziel Straubing erreicht hat.

In Degendorf helfen mir Stefan und Mario mein knackendes Tretlager auszubauen, zu reinigen und wieder einzubauen. Der aufgeweckte Mario, dem der Fahrradladen gehört, hat schon alles mögliche gemacht und ausprobiert. Unter anderem hat er 20 Jahre in Norwegen verbracht. Nach einem Kaffee und Fachsimpelei geht es ohne Knacken weiter.

Hätte, hätte, Fahrradkette. Passau, bleibt ein kurzes Vergnügen. Hätte ich die Großwetterlage ein wenig früher und genauer studiert, müsste ich jetzt nicht in die Nacht fahren und noch Strecke machen, um dem gröbsten Regen in der Region am Mittwoch zu entgehen.
Also zunächst Abendessen: es gibt ein nicht im Ansatz scharfes, scharfes vietnamesisches Tofugericht mit Reis, dazu Apfelschorle.

Also dann: Beinlinge an, Warnweste drüber, Licht an, Helm auf und ab. Als es dunkel wird, lasse ich Passau hinter mir.

Ich fahre durch die Nacht. Es ist wunderschön. Was mir schon am Tag aufgefallen ist, ist nun in der Nacht unübersehbar: entlang des Ufers stehen Leuchtfeuer die im Dunkeln immer wieder unvermittelt aufleuchten.

Ich mache gemütlich viel Strecke. Das Gute an der Nacht ist, dass keine Leute meinen Weg kreuzen, die ich an quatschen könnte und mich so zum Anhalten verleiten würden.

Es ist 21:30 Uhr. Ich fahre an einer Fabrik vorbei. Frisch geduscht Männer kreuzen die Straße - Schichtwechsel.

Kaum Verkehr, es ist nicht schwer. Die Nacht ist sehr friedlich und die vorherrschenden Geräusche sind ganz andere als am Tag. Die Nacht ist lau, fast warm wie eine Sommernacht.

Bei Tageskilometer 168 um 10:10 Uhr (bzw. 22:10 Uhr) passiere ich die unscheinbare Grenze zu Österreich. Auf der anderen Seite sehe ich immer wieder hübsch angeleuchtet Kirchen, die sich im Wasser der Donau spiegeln.

Ich fahre schweigend durch die schon schlafenden Dörfer. Ab und zu weht mir eine Prise duftendes Grass in die Nase.

Das Tal ist schmal und der Radweg führt meist direkt an der Donau entlang, weg von der Straß, obwohl auf der Straße so gut wie kein Auto mehr fährt.

Hin und wieder rauscht ein kleines Flüsschen am Hang zur Linken, dass zur Rechten unhörbar die Donau speist. In den steilen, Hängen links und rechts der Donau, kann man manchmal ein Scheinwerferpaar erkennen, dass sich an einer Straße entlang schlängelt. Immer öfter huscht ein Tier, links oder rechts des Weges. Ich bekomme jedoch nie eines zu Gesicht.

Während ich darüber nachdenke, ob es immer noch ein wenig diesig oder schon sternenklar ist, springen große Fische rechts im Dunkel des Flusses, dass ich nur am lauten Platschen erahnen kann.

Das Tal wird immer dunkler. Nur vor mir der Kegel meines Scheinwerfers und manchmal in der Ferne, ich kann es nicht richtig ausmachen, Lichter von Häusern oder Straßenlaternen.

Es wird kühler und mein Nacken wird ein wenig steif. Ich darf das Trinken nicht vergessen. Ich habe gute Laune und pfeife ab und zu eine Melodie. Wenn ich an der Silhouette eines Haus vorbeifahre, steigt mir oft der heimelige Geruch von verbranntem Holz in die Nase.

Bei Tageskilometer 184 um 23:00 Uhr freu ich mich, in Kürze die Donau mittels einer kleinen Brücke zu überqueren. Da dämmert mir, dass es gar keine Brücke gibt. Und tatsächlich: ich bin inmitten eines dunklen Weilers, am Enden einer Sackgasse angelangt. Die Weiterfahrt wäre einzig mit Fahrradfähren möglich, die um diese Uhrzeit den Betrieb natürlich schon längst eingestellt haben. Also zurück bis zur nächsten Brücke, die mit 8 km zum Glück nicht sehr weit weg ist. Das Flusskreuzfahrtschiff, dass ich vor der letzten deutschen Schleuse gesehen hatte, kommt mir als heller Streif durchs Tal entgegen geflogen. Endlich habe ich es auf die andere Seite geschafft. Mich begrüßen duftend, blühende Bäume. Eulen rufen.

Halbwegs motiviert fahre ich mit langen Handschuhen weiter, bis ich am Rand des Weges ein großes Schild erahne. Im Schein meiner Stirnlampe lerne ich, dass der Donauradweg in wenigen Kilometern, wegen abgegangenen Felsen, für mehrere Kilometer gesperrt ist. Zur Umgehung fahren, natürlich nur am Tag, kostenbehaftete Taxen. Für E-Bike-Fahrerinnen ist auch eine hügelige Variante zur "eigenständigen" Umfahrung ausgewiesen.

Ich fahre langsam weiter und überlege, ob ich versuchen soll, die Baustelle bei Nacht, wenn die Arbeiten ruhen, zu passieren. Ich bin mir unsicher und halte immer wieder an um im Schwarz des Tals einen etwaigen Schlafplatz auszumachen.

Um 01:00 Uhr, nach 204 Kilometern, entdecke ich einen kleinen Campingplatz. Es reicht. Ich baue mein Zelt auf und schlafe beim Rauschen eines Baches, das von der anderen Seite herüberschallt, ein.

Heute gefahren: 204 km und 310 hm
Übernachtung: Camping
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus östlicher Richtung, Böen bis 29 km/h. Tagestemperatur zwischen 8°C und 14°C, Nachttemperatur 11°C. Regenwahrscheinlichkeit: 84 %, Regenmenge: 13.57 mm.
07.05.2023
  
  : 21°C
Regensburg, Bayern / Deutschland

Offline-Couch-Surfing (im App Store nicht erhältlich)

Als ich am Morgen aufstehe, ist das Nachbarzelt schon abgebaut und das dazugehörige Fahrrad verschwunden. Das war wohl ein Frühaufsteher, der sein Zelt mehr feucht als trocken eingerollt hat. Schade, ich hätte gern’ gefragt, wohin die Reise geht.

Nach einem improvisiertem Frühstück breche ich auf. Gegen 10 Uhr fahre ich durch Großmehring und höre die Glocken, die zum Gottesdienst rufen. Ich genieße das Läuten und fahre dennoch nicht hin.

In Vohburg war die Messe zum Glück schon früher. So treffe ich zur Frühstückskaffeepause
Kathi, Christian und Sigi. Im Hintergrund spielt Blasmusik. Es ist Floriansfest.

Auf der Weiterfahrt treffe ich Martina und ihren bunten Flo - on their sunny Sunday ride!

Bei Kloster Weltenburg spare ich mir neben Bier und Apfelschorle (ob des regen Betriebs) auch noch zwei Flusskilometer und passiere den Donaudurchbruch mit einer so genannten Zille, einem kleinen motorisierten Holzkahn.

Gegen ein kleines Fahrgeld lerne ich vom Zillenführer, was ich mich schon am Tag zuvor beschlichen hat: die Donau ist hier in erster Linie nicht für etwaige Industrie als Wasserstraße kanalisiert und breit aufgestaut worden, sondern letztlich zur Stromgewinnung. Die Leistungen der Laufwasserkraftwerke waren im oberen Lauf zunächst sehr gering (wenige Vielfache einer Windkraftanlage), liegen jetzt allerdings schon weit jenseits von 100 Megawatt.

Kurz vor Kelheim huscht eine wunderschöne, grün schillernder Eidechse mit hellblauem Kopf über den Weg. Leider viel zu schnell, um sie abzulichten.

Hier bei Kelheim mündet, endet oder startet (je nach Sichtweise), der erst 1992 fertiggestellte Main-Donau-Kanal und verbindet die Nordsee über Rhein und Main mit der Donau und so, mit dem Schwarzen Meer.

Bei strahlenden Sonnenschein fahre ich weiter. Am Donauufer in Regensburg lerne ich Dine kennen, die gerade aus München zurückgekommen ist. Nach kurzem Plausch verabreden wir uns auf ein Kaltgetränk ein Stündchen später; ich betreibe derweil ein wenig Sightseeing, versuche jedoch die Sonntagsmassen weitestgehend zu vermeiden.

Dines Eltern kommen aus den Niederlanden. Sie ist jedoch größtenteils in Niederbayern aufgewachsen (was man ihr auch manchmal anhört) und lebt schon länger in der schönen Studentenstadt Regensburg.

Nach einem viel zu süßen Rosé (lieblich wäre ein, an dieser Stelle unangebrachter Euphemismus) und einem, wenn auch nur leicht herberen Konterpils, nehme
ich Dines Angebot, auf der WG-Couch zu surfen, an und bleibe über Nacht in Regensburg.

Heute gefahren: 101 km und 210 hm
Übernachtung: Couch Surfing
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 14 km/h aus nord-westlicher Richtung, Böen bis 29 km/h. Tagestemperatur zwischen 10°C und 15°C, Nachttemperatur 10°C. Regenwahrscheinlichkeit: 100 %, Regenmenge: 15.13 mm.
06.05.2023
  
  : 21°C
Ingolstadt, Bayern / Deutschland

Im Frühstücksraum des Hotels lerne ich durch N-TV, dass heute König Charles endlich König wird. Zum Glück lerne ich darüber hinaus auch Michael aus Kopenhagen kennen. Der wohnt hälftig in Kopenhagen und in Wien, mit seiner Frau. Derzeit ist er mit seinem Rennrad und leichtem Gepäck von Donaueschingen nach Wien unterwegs.

Wasser tanken und los. Ich fahre so wie jeden Tag - neuseeländisch: unten kurz und oben lang.

In Gundelfingen treffe ich den schnellen Pinsel auf seinem Titandrahtesel, der seine Freundin in Wien besucht hatte und nun auf dem Rückweg an den Bodensee ist.

Auf meinem Weg treffe ich immer mehr Leute mit Gepäck, und manchmal sogar ohne Motor.

Ich fahre durch unzählige Dörfer mit Milch-Käse-Eier-Wurst-Automaten (Wolle gibt’s glaub’ ich keine). Die Ställe machen jedoch den Anschein, als ob die Kühe noch mit der Hand gemolken werden.

Die Donau wird gänzlich zum Kanal - auf dem kein Schiff fährt - und ist an vielen Stellen so breit, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass hier jemals eine Industrie gestanden hat, die eines dermaßen überdimensionierten Verkehrswegs bedurft hätte.

Kurz hinter Donauwörth (ich habe wohl etwas zu lange Halt gemacht) treffe ich Michael vom Frühstück auf seinem Rennrad wieder. Er ist viel schneller als ich dachte! Nach einer kurzen gemeinsamen Fahrt entscheiden wir uns im Schlosshotel Leitheim einen Kaffee zu trinken. Schon wieder Pause - aber es passt mir doch ganz gut, da ich in Donauwörth eigentlich einen Kaffee trinken wollte, jedoch kein schönes Plätzchen gefunden hatte.

Michael erzählt mir, dass er seit zehn Jahren Krebs hat. Der Tumor hat gestreut und ihm fehlt schon ein Teil der Lunge und auch Teile anderer Organe. Doch oder vielleicht gerade deshalb geht es ihm gut. Er nimmt die Krankheit nicht persönlich und genießt das Leben und die Möglichkeiten, die er hat. Jetzt fährt er mit dem Fahrrad von Donaueschingen bis Wien, zu seiner Freundin. Danach eine weitere Chemo in Kopenhagen.

Ich verabschiede mich, schließlich möchte ich heute noch bis Ingolstadt. Back on Track. Nach mehr als 100 Kilometern in Bayern grüße ich immer noch mit "Hallo" und bekomme ein "Servus" zurück. Vor Passau muss ich’s aber drauf haben, sonst lohnt es nicht mehr.

An einer Kreuzung, zwischen Felder, begegne ich David aus Wales. Er ist mit dem Fahrrad von London nach Istanbul unterwegs. Seinen ersten Ruhetag hatte er lustiger Weise in Düsseldorf eingelegt. David hat seinen linken Arm bei einem Motorradunfall mit 17 verloren. Er ist sofort nach dem Unfall wieder auf’s Motorrad gestiegen und fuhr seitdem mit Armprothese. Wegen des Klimawandels wollte er keine großen Touren mehr mit dem Motorrad machen. Auf dem Fahrrad ist er einhändig und ohne Prothese unterwegs. Vor seiner großen Fahrradtour war er bloß einmal für drei kurze Tage mit dem Velo unterwegs. David ist 51 und sagt, dass die Reise bzw. sein Gap-Year seine Midlife-Crisis sei. Nach der Fahrradtour wird er mit dem Rucksack durch Asien reisen und seine Tochter in Vietnam treffen.

Ich verabschiede mich, fahre weiter und erinnere mich an Willi, 84, aus Köln. Auf der Fähre hatten wir uns über das manchmal doch sehr befremdliche Wesen der Deutschen und ihr Unvermögen unterhalten, freundlich zu grüßen, ja noch nicht einmal zurück zu grüßen. Willi sagte: "Man möchte die Leute klatschen, man möchte sie schütteln!"

Ich versuche die Menschen zu schütteln, indem ich unermüdlich freundlich winke und grüße. Oft gelingt es mir, selbst beim schnellen Vorbeifahren, ein Lächeln zurück zu bekommen.

Auf einem Campingplatz nahe Ingolstadt baue ich im Dunkeln mein Zelt auf und darf beim Einschlafen ein Froschkonzert genießen.

Heute gefahren: 163 km und 360 hm
Übernachtung: Camping
Wetteraussichten: Überwiegend bewölkt. Wind mit 18 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 40 km/h. Tagestemperatur zwischen 9°C und 20°C, Nachttemperatur 12°C. Regenwahrscheinlichkeit: 9 %, Regenmenge: n.a.
05.05.2023
  
  : 19°C
Neu-Ulm, Bayern / Deutschland

Merke:
Wer den Symbolen der Wetterapps vertraut, kommt zu der irrationalen Ansicht, es würde die ganze Woche bloß regnen und bewölkt sein. In der Realität ist es meist trocken und verhältnismäßig warm, so auch heute - dachte ich zumindest.

Am Morgen mache ich mir im Hostel, das ich die Nacht ganz alleine beschlafen habe, ein ausgiebiges Frühstück. Danach besuche ich noch schnell Rudi und seinen Kater in deren Tiny House am Hang über dem Hostel.

Obwohl ich spät los komme, läuft es ganz gut. Alles blüht, in allen Farben. An einer Donaubrücke treffe ich Sandra, die sehr viel Gepäck auf ihren bronzefarbenen Stylo-Hobel geladen hat und freue mich insgeheim, dass ich es leichter habe.

Ich fahre vorbei an einem der vielen schönen Freibäder entlang der Donau, die den Sommer nicht erwarten können.

Das erste Mal verschaltet bei Kilometer 806, aber ich kann die Kette auf dem großen Blatt halten!

Ab Tageskilometer 64,8 dämmert mir, dass sechs hart gekochte Eier zum Frühstück wohl vielleicht doch ein oder zwei zu viel waren - aber das soll nicht meine größte Sorge sein.

Leises Grollen und Donnern vernehme ich im Norden und denke mir: ich bin einfach schneller.
Die Gewitterfront kommt jedoch näher. Zunächst fahre ich noch im Schutz des Deichs weiter, doch nach ein paar wenigen, dafür aber sehr ungewöhnlichen dicken Tropfen, rette ich mich unter eine Bahnunterführung, kurz bevor der Hagelsturm losbricht. Drei Jugendliche kommen etwas später und deutlich durchnässter dazu.

Leider ist die Unterführung vielmehr eine löchrige Stahlkonstruktion, bei dessen Planung wohl mehr die Viadukt-Funktion als der Wetterschutz im Vordergrund stand.

Nach dem gröbsten brechen wir wieder auf. Leider übersieht ein Autofahrer eine große Pfütze am Straßenrand und wir bekommen alle einen großen Schwall von der Seite ab. Damit hat’s nun auch meine Socken erwischt.

Mit dunklen Wolken im Rücken rolle ich in die erste Großstadt an der Donau ein: Ulm. Wenig später bricht ein weiterer Regensturm los, den ich zusammengekauert in einem Garagenhof abwarte. Ich entscheide die Nacht unter einem festen Dach in der Stadt zu verbringen.

Merke:
8 mm Niederschlagsvorhersage können im richtigen Leben ganz schön hart daherkommen.

Heute gefahren: 122 km und 450 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 11 km/h aus süd-westlicher Richtung, Böen bis 25 km/h. Tagestemperatur zwischen 10°C und 19°C, Nachttemperatur 12°C. Regenwahrscheinlichkeit: 80 %, Regenmenge: 0.3 mm.
04.05.2023
  
  : 18°C
Inzigkofen, Baden-Württemberg / Deutschland

Ab heute geht’s bergab bzw. flussabwärts, und vorallem - gen Osten!

Der Tag beginnt mit der Sonne, die durch die Lichtung und auf mein Lager scheint. Während ich mir, neben meinem Zelt auf einem Baumstumpf sitzend, zwei Halve Hahn zum Frühstück genehmige, marschiert über die Lichtung die Armée de Terre - und hinterher - die Bundeswehr... so oder so ähnlich hat es sich zugetragen:)

Ich breche also mein Lager ab und bekomme in Schönwald glücklicherweise einen Frühstückskaffee von Martial spendiert, den ich um Wasser gebeten hatte. Nach einem Schwätzchen fahre ich alsbald durch die "Donauquellstadt Furtwangen" (gemäß Ortsschild). Ich wundere mich ein wenig, schließlich entspringt die Breg mehrere Kilometer weit weg von hier, nahe eines Weilers und eben nicht in einer Stadt. Nun ja - ich fahre weiter und beobachte wie der Bach schon bald zum Fluss wird. Nach 45 Kilometern erreiche ich, man mag es kaum glauben, die "Donauquellstadt Donaueschingen" (gemäß Ortsschild). Auch wenn die Stadt die angebliche Quelle mit einem etwas unnatürlich geratenen Platz bzw. Topf, unterhalb der Stadtkirche St. Johann, bewirbt, so tauschen bei Donaueschingen Breg und Brigach tatsächlich ihre Namen gegen einen neuen ein. Ab hier fließen sie zusammen und nennen sich, gemeinsamen mit vielen anderen kleinen und großen Zuflüssen, Donau.

Durch Meere von Löwenzahn geht es weiter. Ich lerne dass die Donau an fünf Stellen versinkt bzw. versickert und dieses Wasser ca. 20 km südlich die Aachquelle speist. So stiehlt sich doch ein wenig Wasser, das eigentlich ins Schwarze Meer soll, über Aach und Rhein in die Nordsee - quasi eine Wasserscheidenumgehung.

Nach dem Biotech-und-Medizintechnik-Mekka Tuttlingen beginnt der bis jetzt schönste Teil meiner Reise. Zur goldenen Stunde erreiche ich den Karst, durch den sich die Donau über Jahrmillionen gearbeitet und wunderbare Landschaften hinterlassen hat. Es ist wunder-wunderschön!

Mit der Abendsonne fahre ich immer weiter durch diese atemberaubende friedliche Schönheit. Die Grillen zirpen, die Vögel singen
und Schmetterlinge fliegen ein Stück mit mir - es kann kaum schöner sein.

Den Ort Beuron lasse ich mit klösterlichem Glockengeläut und einem Lachen im Gesicht hinter mir.

Heute gefahren: 129 km und 510 hm
Übernachtung: Backpacker Hostel
Wetteraussichten: Mäßiger Regen. Wind mit 11 km/h aus nord-westlicher Richtung, Böen bis 25 km/h. Tagestemperatur zwischen 10°C und 18°C, Nachttemperatur 11°C. Regenwahrscheinlichkeit: 100 %, Regenmenge: 6.98 mm.
03.05.2023
  
  : 12°C
Schönwald im Schwarzwald, Baden-Württemberg / Deutschland

Durch den Hochschwarzwald bis zur Quelle

Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von Kai, der seinen Rückweg mit der Bahn antritt.

Und los geht die Bergetappe. 2’000 Höhenmetern liegen vor mir. Nach ein paar Kilometern steige ich jedoch schon wieder vom Rad, laufe einen Hang hinauf und frage zwei Handwerker, die offensichtlich einen alten Heuschober wieder aufbauen (siehe Bild), ob ich ein Photo von ihnen und ihrer schönen Arbeit machen könne.

Ich sage noch:
"Ich komme aus NRW, da gibt es ehrlichen Holzbau nicht mehr."

Daraufhin lacht der eine und sagt:
"Ja - alles nur noch mit dem 3D-Drucker."

Über die nächsten Kilometer stelle ich fest, dass es auch in Baden-Würtemberg mehr Baustellen, Sperrung, Umleitung und abrissreife Brücken gibt, als man sich vorstellen möchte - und das auch auf Fahrradwegen!

Die ersten 555 Höhenmeter habe ich in Freudenberg geschafft. Der Name der Stadt kommt von Berg und nicht von Freude, sonst hieße sie schließlich Bergfreude. Das wusste scheinbar auch mein Routenplaner Komoot und hat kurz vor Ortsankunft noch eine kleine Spezialität mit bis zu 17,7% Steigung eingebaut.

Danach fahre ich durch das wunderschöne Tal der Kinzig, vorbei an Höfen, die so lyrische Namen wie Jockelsbauernhof, Vogtsmichelhof oder gar Metzgersbauernhof tragen.

Schließlich erreiche ich den Hochschwarzwald und der Tag wird endgültig zur Bergetappe. Ich passiere die Europäische Wasserschneide Nordsee/Schwarzes Meer auf 1’020 Metern und erreiche in der Abendsonne glücklich und zufrieden, wenn auch mit sehr schweren Beinen, die Quelle der Breg - den Start meiner Reise.

Nach einer Portion Hirschgulasch und zwei Portionen Eierspätzle baue ich mein Zelt bei Mondschein an einer Waldlichtung auf - unweit des Zeltplatzes, dessen spontane Betreiber auf einen Reservierungsvorlauf von mindestens vier Tagen, im Regelfall sieben Tagen, bestehen.

Heute gefahren: 121 km und 2161 hm
Übernachtung: Camping
Wetteraussichten: Überwiegend bewölkt. Wind mit 7 km/h aus süd-östlicher Richtung, Böen bis 11 km/h. Tagestemperatur zwischen 4°C und 19°C, Nachttemperatur 10°C. Regenwahrscheinlichkeit: 0 %, Regenmenge: n.a.
02.05.2023
  
  : 16°C
Weisenbach, Baden-Württemberg / Deutschland

Von der Quadrate- über die Fächerstadt bis an die Murg im Schwarzwald

Heute war das Wetter unverändert kaiserlich, was sich schließlich auch so gebührt, für eine Reise von Residenzstadt zu Residenzstadt. Gestartet in den Quadraten des kurfürstlichen Mannheims verließen uns die rechten Winkel schließlich vor den Toren des fürstlichen Fächers Karlsruhe. Nach einem kurzen italienischen Bohnengetränk mit meinem weniger blaublütigen, doch umso herzlicheren und lieben Freund Dennis, ging es weiter gen Schwarzwald. In Au im Murgtal fielen Kai und ich letztlich nach einer zünftigen Portion hausgemachten usbekischen Teigtaschen in die Koje.

Heute gefahren: 127 km und 393 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Mäßig bewölkt. Wind mit 18 km/h aus nord-östlicher Richtung, Böen bis 25 km/h. Tagestemperatur zwischen 7°C und 18°C, Nachttemperatur 9°C. Regenwahrscheinlichkeit: 0 %, Regenmenge: n.a.
01.05.2023
  
  : 17°C
Mannheim, Baden-Württemberg / Deutschland

Tour des amis

An einem weiteren Tag mit Kaiserwetter ging es zunächst auf der hessischen Rheinseite bis nach Mainz-Kastel und dann über die Fahrrad-freundliche Landesgrenzbrücke (siehe Bild) zurück nach Rheinland-Pfalz bzw. in dessen Landeshauptstadt Mainz.

Für alle die es interessiert: Mainz-Kastel gehört nicht (mehr) zu Mainz, sondern zu Wiesbaden.

Nach einem vorzüglichen Mittagessen bei Therese sind wir zu dritt bis Nierstein geradelt, wo sich unsere Wege wieder trennten. (Leider musste Therese den Rückweg, in Ermangelung an Bargeld, ohne Eis-Stärkung antreten.)

Zwei weitere Kurzbesuche bei alten Studienfreund-und-Innen in Worms und Bobenheim-Roxheim später, erreichen Kai und ich schließlich unser Etappenziel Mannheim. Spargel essen, duschen, ab ins Bett, Feierabend.

Heute gefahren: 115 km und 145 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 18 km/h aus unbestimmter Richtung, Böen bis 29 km/h. Tagestemperatur zwischen 9°C und 16°C, Nachttemperatur 9°C. Regenwahrscheinlichkeit: 36 %, Regenmenge: 0.37 mm.
30.04.2023
  
  : 17°C
Rüdesheim am Rhein, Hessen / Deutschland

Heute: Kaiserwetter!

Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen, hätte sich nicht folgende Anekdote zugetragen.

An einem alten Meilenstein (siehe Bild) frage ich eine Radfahrer*in, ob er/sie/es wüsste, für welche Einheit das "M" steht, denn mit heutzutage verwendeten Meilen, könne diese Maßeinheit offensichtlich nicht viel gemein haben.
Daraufhin bekam ich folgende Antwort:
"Das ist von früher, da waren die Abstände ja anders."

Heute gefahren: 129 km und 139 hm
Übernachtung: Hotel etc.
Wetteraussichten: Leichter Regen. Wind mit 7 km/h aus nord-westlicher Richtung, Böen bis 14 km/h. Tagestemperatur zwischen 8°C und 18°C, Nachttemperatur 10°C. Regenwahrscheinlichkeit: 94 %, Regenmenge: 3.8 mm.
29.04.2023
  
  : 12°C
Bad Godesberg, Nordrhein-Westfalen / Deutschland

Kurz nach dem grünen Reste-Smoothie
und dem Start in Ratingen gab’s nach ganzen 9 km schon wieder Frühstück bei Thomas in Düsseldorf - jetzt jedoch feste Nahrung und mit richtig gutem Kaffee. Danach ging’s zum DHL-Shop in die Rethelstraße - Schlange stehen für eine Stirnlampenakkunotfallsendung.

Einer Mutter in der Schlange fällt mein, für ein Stadtrad wohl sehr ungewöhnlicher Fahrradaufbau auf und fragt: "Wo soll’s denn hingehen?"
Ich: "Zum Schwarzen Meer."
Sie: "Oh, wie weit ist das denn?"
Ich: "Ungefähr 3’000 km."
Daraufhin sie zu ihrer Tochter gewandt: "Da siehst Du, sowas machen wir nur mit dem Flugzeug."

Heute gefahren: 97 km und 164 hm
Übernachtung: Couch Surfing
Wetteraussichten: Ein paar Wolken. Wind mit 11 km/h aus östlicher Richtung, Böen bis 25 km/h. Tagestemperatur zwischen 9°C und 19°C, Nachttemperatur 14°C. Regenwahrscheinlichkeit: 0 %, Regenmenge: n.a.
Start der Reise
Ratingen, Nordrhein-Westfalen / Deutschland