Das Vier-Generationen-Café

Pilsen, Tschechien

12. Reisetag

696 Kilometer

In Stribro kehre ich mittags im modernen Café Orange ein. Es hat eine Spielecke, in der sich ein Kind vergnügt und hinter der Theke stehen drei Damen, alle ca. 20 bis 25 Jahre auseinander. Die “mittlere” Dame scheint bemerkt zu haben, wie es in meinem Kopf werkelt und sagt ohne Umschweife: “Kind, Mutter, Oma, Ur-Oma”, wobei sie jeweils auf die Vertreter der zugehörigen Generation zeigt. Find ich lustig, wo gibt es bei uns noch sowas, ein Vier-Generationen- Café?

Ich bestelle was zu essen und ein Bier. Oma hat natürlich mitbekommen, dass ich mit dem Fahrrad unterwegs bin und – offensichtlich besorgt ob meiner Fahrtüchtigkeit – gibt sie folgendes zu bedenken. Sie hat zwei Sorten Bier, Pilsener und Budweiser, was auch sonst in dieser Gegend? Das eine hat 11 Prozent, das andere 12 Prozent Alkohol. Ob ich das wirklich will? Nein Omi, du hast ja recht, ich lehne dankend ab. Also nur was zu essen.

Plötzlich gerät alles in Aufruhr. Der Kleine setzt meinen Helm auf, Mutti versucht erfolglos, ihn davon abzuhalten, Omi rennt erstaunlich schnell aus dem Laden und Ur-Oma kümmert sich um das Essen. Einige Minuten später ist Oma wieder da und hält stolz eine Pulle Bier in die Luft. “Kein Alkohol!”, jubelt sie und stellt es mir auf den Tisch. Damit der Junge auch was zu trinken hat. Keine Ahnung, wo sie das organisiert hat, ich war jedenfalls gerührt.

Zum Dank durfte der Kurze mit meinem Helm auch Fußball spielen.

Vier Stunden nicht duschen!

Chodová Planá, Tschechien

10. Reisetag

633 Kilometer

Nun also zum ersten mal in Tschechien. Leider nur auf der Durchreise und lediglich für eine Woche. Da frage ich mich natürlich, was ich mir so ansehen soll.
Ganz oben rangiert Prag. Muss man gesehen haben. Aber solo und mit dem Fahrrad sind solche Stadtbesichtigungen meist nicht sehr erquicklich und so spare ich mir diese interessante Stadt für ein schönes verlängertes Wochenende mit Gaby auf.

Als nächstes auf der “must see” Liste stehen die alten Kurbäder Karlsbad und Marienbad, die auch interessant sein sollen. Alte Bekannte wie Thomas Edison, König Edward VII, Franz Kafka und Goethe waren schließlich auch schon da.
Also, ICH und Goethe, das würde ja passen…
Gegen einen Besuch spricht, dass die Bäder bereits fest in russischer und saudischer Hand sind und nach gepimpten Russinnen steht mir nun wirklich nicht der Sinn.

Einige meiner geneigten Leser wissen ja bereits, oder zumindest ahnen sie es, dass ich ein großer Kunstliebhaber bin! Und hier in Böhmen hat sich über Jahrhunderte eine ganz besonders hoch entwickelte Kunst etabliert, die genauer in Augenschein genommen werden will. Kleine Nachhilfe für Nichtpromovierte unter uns, so wie Gutenberg, Schavan oder meine Wenigkeit: Worauf deuten Städtenamen wie Pilsen oder Budweiser hin?
Um mich dieser Kunstform auf eine sehr sinnliche Weise zu nähern, werde ich einen Selbstversuch unternehmen. Aber nicht, was ihr schon wieder denkt! Nein, ich will das Bier nicht trinken, ich werde darin baden!
Den Termin habe ich für 11:00 morgens ausgemacht. Zusammen mit fünf anderen Kunstinteressierten betrete ich das Bad in einem schönen Gewölbekeller. Mich wundert ein wenig, dass es hier eine Theke gibt, an der Bier gezapft wird. Man zieht sich komplett aus. Anschließend geht es zu den bereits gefüllten großen Badewannen, die mit Vorhängen voneinander getrennt sind. Die Flüssigkeit, altbierfarben und mit einem Schaum drauf, wie man ihn vom Gären in den großen Fässern kennt. Unzweifelhaft Bier, ein spezielles Badebier, dass sie hier extra zu diesem Zweck brauen. Die netten tschechischen Bierbademeisterinnen geben nun das Kommando zum Wanneneinstieg. Es ist sehr angenehm. Erst jetzt bemerke ich das schöne frischgezapfte Bier neben mir. Herrlich! Was will Mann mehr? Außen und innen feinstes Bier. Zwanzig Minuten wird so bei angenehmer Musik entspannt, dann wird man von einer wirklich sehr netten BBM in ein Tuch gehüllt und zum Ruheraum geführt. Sie packt einen warm ein und verweist auf das frischgezapfte, herrliche Bier neben der Liege. Leute, so läßt’s sich leben! Nach weiteren zwanzig Minuten ist dann alles vorbei. Man bekommt noch den Hinweis “Vier Stunden nicht duschen!” und ich denke mir “Nach dem guten Frühstück, dem heißen Bad und zwei Vormittagsbier sollte ich erstmal vier Stunden schlafen.”
So, was bringt nun das Ganze? Der Prospekt verspricht “geistige Erholung und verjüngende Wirkung.” Geistige Erholung, na ja, vielleicht. Aber das mit der Verjüngung ist natürlich Quatsch.
Moment mal? Ich spüre da plötzlich was….
Ej, ihr Opfer, checkt mal meinen krassen Blog aus. Die Tour bisher voll Porno. Ne Menge übler Grufties unterwegs, die einen dauernd dumm anlabern. Voll die Grütze.
Bin gespannt, wie lange die Wirkung anhält.

Deutsche sind lieb – wirklich!

Bayreuth, Deuschland

8. Reisetag

535 Kilometer

Auf so einer Radreise heißt es ja ständig Abschied zu nehmen, denn jeden Tag verlässt man eine Welt und bricht in eine neue auf. Das ist der Reiz einer solchen Reise und zugleich deren Herausforderung. Grenzübertritte sind immer spannende Momente und ein besonderer Abschied ist der, wenn man sein Heimatland verlässt. Dies ist bei mir nun der Fall und auf mich warten 14 Länder, in denen ich noch nicht gewesen bin. Klingt vielversprechend, oder?

Ich nehme dies zum Anlass, um mich bei all denen zu bedanken, die mir auf meiner Tour unterwegs bisher so nett geholfen haben. Als da sind:

Peter, der mich in Wesseling bei meiner Suche nach dem versteckten Zugang zum Rhein entdeckte und einfach 1,5 km vorfuhr, bis die Sache klar war. Ich wünsche ihm alles Gute für seine Tour nach Rom.

Herr Kaufmann in Andernach, der nicht nur abends mein Fahrrad in Sicherheit bringen lies und morgens wieder bereitstellte, sondern sich sofort anbot, mir bei einer kleinen Reparatur zu helfen.

Die Radfahrerin in Koblenz, die mir erklärte, wie ich über die in Renovierung befindliche und für Radfahrer gesperrte Balduinbrücke über die Mosel komme, als ich wie der Ochs vorm Berg stand.

Der ältere Herr in Rhens, der mir schon von Weitem zuwinkte, um mir die Umleitung um eine Baustelle zu erklären, damit ich nicht den Weg wieder zurückfahren musste.

Herr Bonsch in Oberwesel, der mir eine Tüte (mit Herzchen drauf) auf den Frühstückstisch legte, in die ich mir etwas zum Mittagessen einpacken sollte.

Die Kellnerin in dem unglaublichen Restaurant Borussia in Frankfurt, die echt im Stress war, mir sagen musste, dass beim besten Willen kein Platz frei war und mir dann später wahrhaftig hinterherlief, als doch noch was frei wurde. Es war die bisher schönste Mittagseinkehr auf meiner Tour.

Der sympathische Herr, der zu Studentenzeiten mit dem Fahrrad zum Nordkap gefahren ist und mich an einer Infotafel in Aschaffenburg ansprach, um mir bei der Suche nach einer Unterkunft zu helfen. Zu dumm, dass ich nicht weiter erforschte, was für ein dreirädriges Auto er fährt.

Der Bahnreisende auf dem Weg von Mainz nach Nürnberg, der mich von Aschaffenburg nach Würzburg begleite und mir mit Fahrrad und Gepäck half, weil mal wieder eine Tür der Deutschen Bundesbahn nicht funktionierte, das bepackte Fahrrad nicht durch den Gang passte und somit alles eilig in Einzelteilen aus dem Zug geschafft werden musste.

All die unerwartet vielen Leute, die mir unterwegs zuwinken, “gute Fahrt” oder “ganz schön kalt, was?” zurufen, die mich aufmuntern, bemitleiden oder motivieren.

UNGLAUBLICH!

Und natürlich frage ich mich: Liegt all die erfahrene Zuwendung daran, dass unsere Landsleute wirklich so offen, freundlich und hilfsbereit sind? Oder liegt es einfach daran, dass ich auf sie debil, degeneriert und verloren wirke.
Heilige Jungfrau Maria, bitte lass es nicht Letzteres sein!

PS. Wo bin ich hier eigentlich und wie komme ich jetzt nach Hause???

Der beherzte Griff in den Schritt

Würzburg, Deuschland

6. Reisetag

378 Kilometer

Ich bin zum ersten Mal in Würzburg. Diese Gelegenheit möchte ich nutzen, um mir die berühmte Residenz anzuschauen. Aber nicht einfach “nur so”, denn ich bin mal wieder auf Spurensuche. Doch dazu später mehr.
Jetzt schließe ich mich erstmal einer Führung an. Ich lerne dabei, dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Auftraggeber, also meistens Adel und Klerus, die Motive von Gemälden und Fresken genau vorgegeben haben. “Freie” Künstler gibt es erst ab dem 19. Jahrhundert.

Auf eine interessante optische Spielerei werden wir von der Führung hingewiesen. Ein Hund thront plastisch auf einer Säule, sodass man annimmt, er sei modelliert. In Wirklichkeit ist er aber Teil der Wandmalerei. Tolle Idee.

Ein Novum der Kunstgeschichte ist ebenfalls hier zu bestaunen. Zum ersten Mal Pferde von unten! Auch der stramme Hengst so detailgetreu! Das gab’s noch nie. Hab ich groß fotografiert. Die Hintergründe erspare ich uns hier.

Nun zu meinem Anliegen. Vor ungefähr 12 Jahren ist mir aus vertrauenswürdiger Quelle folgende Geschichte zugetragen worden. Der Fürstbischof von Würzburg gibt ein Fresko in Auftrag. Allerdings verweigert er dem Künstler nach Fertigstellung die Bezahlung, vermutlich, weil er mit der Arbeit aus einem mir nicht bekannten Grund unzufrieden ist. Dies wiederum veranlasst den möglicherweise cholerisch veranlagten Künstler sein Werk zu überarbeiten. Er malt zwei Engel, die jemandem (dem Chef?) ungeniert und beherzt in den Schritt greifen. Eine kleine Spitze für einen Künstler, ein große Beleidigung für einen Fürsten und Bischof! Dieser setzt dem Freigeist nach, doch der entkommt mit knapper Not.
Ich fand diese Geschichte ausgesprochen schön und so trage ich sie der Kunstführerin vor. Obwohl ich ihr einleitend mitgeteilt habe, dass ich das Geschehene aus zuverlässiger Quelle erfahren habe, fragt sie, von wem ich das denn hätte.
“Einem Lehrer.”, antworte ich. Das dürfte jeden Zweifel im Keim ersticken.
“Einem Lehrer?”, fragt sie misstrauisch.
“Einem Lehrer.”, antworte ich bestimmend.
Nein, diese Geschichte kennt sie nicht.
Sie tischt mir zwei Alternativen auf.
Einmal war der Fürstbischof mit den Farben der Fresken nicht zufrieden. Der Künstler musste überarbeiten, wurde aber bezahlt.
“Gähn.”
Ein anderes Mal, hat ein Künstler stets hinter einer undurchsichtigen Abdeckung gearbeitet. Als diese dann endlich gelüftet wurde, stellte sich heraus, dass er gar nicht malen konnte. Er wurde nicht bezahlt.
“Schnarch.”

Also ich fand meine Geschichte besser!

Neulich beim Italiener

Oberwesel am Rhein, Deuschland

3. Reisetag

214 Kilometer

Am schönen Mittelrhein liegt das beschauliche Örtchen Oberwesel. Wohltuend hebt es sich von anderen touristischen Orten, wie z.B. Boppard ab. Es gibt eine schöne Stadtmauer, viele Befestigungstürme, eine Burg auf dem Berg und einen kleinen historischen Markplatz mit viel Fachwerk. Trotz dieser angenehm zurückhaltenden Rheinromantik habe ich heute Abend keine Lust auf deutsche Weinseligkeit, sondern lande stattdessen mal wieder “beim Italiener”. Bei der Location handelt es sich um eine offensichtlich aufgegebene deutsche Kneipe mit der augenscheinlich originalen Einrichtung aus den 60er oder 70er Jahren. Die Einrichtung unserer Tennisvereinsgastronomie ist posh dagegen.
Der Wirt fragt mich, ob ich aus Oberwesel sei. Nein, ich bin auf der Durchreise, fahre mit dem Rad nach China. “Was?”, und schon sitzt er an meinem Tisch.
“Meine Frau würde mir den Kopf abreißen!”
Dann wendet er sich an seine junge, hübsche Angestellte.
“Hörmal, was würdest Du sagen, wenn dein Mann nach China fahren würde?”
“Dann kann er gleich in China bleiben!”, antwortet sie.
Diese Aussagen lassen an Deutlichkeit keine Wünsche offen und ermöglichen uns einen tiefen Einblick in das harmonische italienische Familienleben.
Doch der größte Schock steht den beiden noch bevor.
“Bis nach China, da musst du doch vier bis fünf Paare Schuhe dabei haben.”, meint er.
“Nein, nur ein Paar.”, antworte ich wahrheitsgemäß.
“Aber man braucht doch welche für den Sommer, den Winter, zum Fahrradfahren, für abends, als Ersatz, usw.”
Leute, meine komplette Garderobe für die nächsten acht Monate passt in eine Gepäckträgertasche, da muss ein Paar Schuhe reichen.
Dann ruft die Küche. Er steht auf, geht mit hängendem Haupt kopfschüttelnd dahin und murmelt völlig verständnislos “Ein Paar Schuhe, nur ein Paar Schuhe …”. Das macht ihn fertig.

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