Der beherzte Griff in den Schritt

Würzburg, Deuschland

6. Reisetag

378 Kilometer

Ich bin zum ersten Mal in Würzburg. Diese Gelegenheit möchte ich nutzen, um mir die berühmte Residenz anzuschauen. Aber nicht einfach “nur so”, denn ich bin mal wieder auf Spurensuche. Doch dazu später mehr.
Jetzt schließe ich mich erstmal einer Führung an. Ich lerne dabei, dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Auftraggeber, also meistens Adel und Klerus, die Motive von Gemälden und Fresken genau vorgegeben haben. “Freie” Künstler gibt es erst ab dem 19. Jahrhundert.

Auf eine interessante optische Spielerei werden wir von der Führung hingewiesen. Ein Hund thront plastisch auf einer Säule, sodass man annimmt, er sei modelliert. In Wirklichkeit ist er aber Teil der Wandmalerei. Tolle Idee.

Ein Novum der Kunstgeschichte ist ebenfalls hier zu bestaunen. Zum ersten Mal Pferde von unten! Auch der stramme Hengst so detailgetreu! Das gab’s noch nie. Hab ich groß fotografiert. Die Hintergründe erspare ich uns hier.

Nun zu meinem Anliegen. Vor ungefähr 12 Jahren ist mir aus vertrauenswürdiger Quelle folgende Geschichte zugetragen worden. Der Fürstbischof von Würzburg gibt ein Fresko in Auftrag. Allerdings verweigert er dem Künstler nach Fertigstellung die Bezahlung, vermutlich, weil er mit der Arbeit aus einem mir nicht bekannten Grund unzufrieden ist. Dies wiederum veranlasst den möglicherweise cholerisch veranlagten Künstler sein Werk zu überarbeiten. Er malt zwei Engel, die jemandem (dem Chef?) ungeniert und beherzt in den Schritt greifen. Eine kleine Spitze für einen Künstler, ein große Beleidigung für einen Fürsten und Bischof! Dieser setzt dem Freigeist nach, doch der entkommt mit knapper Not.
Ich fand diese Geschichte ausgesprochen schön und so trage ich sie der Kunstführerin vor. Obwohl ich ihr einleitend mitgeteilt habe, dass ich das Geschehene aus zuverlässiger Quelle erfahren habe, fragt sie, von wem ich das denn hätte.
“Einem Lehrer.”, antworte ich. Das dürfte jeden Zweifel im Keim ersticken.
“Einem Lehrer?”, fragt sie misstrauisch.
“Einem Lehrer.”, antworte ich bestimmend.
Nein, diese Geschichte kennt sie nicht.
Sie tischt mir zwei Alternativen auf.
Einmal war der Fürstbischof mit den Farben der Fresken nicht zufrieden. Der Künstler musste überarbeiten, wurde aber bezahlt.
“Gähn.”
Ein anderes Mal, hat ein Künstler stets hinter einer undurchsichtigen Abdeckung gearbeitet. Als diese dann endlich gelüftet wurde, stellte sich heraus, dass er gar nicht malen konnte. Er wurde nicht bezahlt.
“Schnarch.”

Also ich fand meine Geschichte besser!