Danke Helmut!

Speyer

2. Reisetag

120 km

Was haben mein Namensvetter Altbundeskanzler Birne Kohl und ich gemein. Es ist nicht die Birne, soviel sei verraten.
Ich bin in Speyer und da fand Kohl ja am berühmten Dom seine letzte Ruhe. Und wo ich schon mal hier bin, möchte ich mir das Grab von Onkel Helmut natürlich nicht entgehen lassen.
Ich radle einmal um den kompletten Dom. Kein Grab. Kein Hinweis. Kann doch nicht sein. Was ist hier los?
Nun gibt es eigens für den Dom ein Informationsbüro. Da muss ich jetzt leider rein und die wahrscheinlich dööfste aller Touri-Fragen in Speyer stellen:
„Wo ist denn hier das Grab von unserem Altbundeskanzler?“
Die sehr freundliche junge Dame ist von meiner Frage gar nicht überrascht, ich aber von ihrer Antwort umso mehr.
„Oh, das ist ziemlich weit, ungefähr eine Stunde zu Fuß. Ah, Sie sind mit dem Fahrrad da, dann nur 15 Minuten.“
Also fahre ich hin und bin schon wieder überrascht. Erwartete ich doch Busse voll Touristen, einen Menschenauflauf.
Nichts. Totale Leere. Nichtmal Blumen hat jemand daneben gelegt, obwohl es extra eine Anweisung dazu vor dem Grab gibt.
Was hat doch dieser große Staatsmann alles für unser schönes Vaterland geleistet.
„Spendenaffäre, samt sämtlicher dazu gehörenden Rechtsbrüche?“
„Ja, schon.“
„Dubiose Waffengeschäfte?“
„OK.”
„Geldwäscheaffäre?“
„Ja auch, aber jetzt mal im Ernst.“
„Saumagen.“
„Riichtiig!“
Und auf diese Suche wollen wir uns jetzt mal begeben, denn es war das Leibgericht von Helmut Kohl und eine Pfälzer Spezialität. Ich selbst habe es noch nie gegessen und weiß auch gar nicht so recht, was es überhaupt ist.
Erste Anlaufstelle, das Touristenbüro. Die werden sich auskennen. Eine junge Dame bedient und ich stelle die zweit-dööfste Touri-Frage von Speyer:
„Was ist eigentlich Saumagen und wo kann man ihn hier gut essen?“
Sie antwortet:
“Hab ich als Kind gerne gegessen, aber jetzt lange nicht mehr.“
Diese Anwort ist noch recht konkret, nun wird es schwammiger:
„Ist irgendwas mit Hackfleisch und Kartoffeln, zusammen gekocht im Bauch eines Schweines.“
„Hört sich lecker an!“
„Gibt es aber nicht überall. Versuchen Sie es mal in der Dombrauerei.“
Die hatte ich auch schon im Visier, also gehe ich dahin.
Ich frage Kellnerin #1 nach Inhalt und Zubereitung und bekomme eine ähnlich fragwürdige Antwort, wie im Touribüro.
Dann kommt Kellnerin #2. Stämmig und in voller Pfälzer Tracht, die muss es wissen. Fortan erklärt sie mir mit feinstem holländischen Akzent sehr detailliert, dass Fleisch, Gewürze und Kartoffeln unter Druck zusammen gekocht werden, früher in einem Saumagen, heute aber nicht mehr. Das macht bereits der Metzger. Dieser liefert dann den Saumagen wie eine große Wurst an. Hier wird er dann in Scheiben geschnitten und anschließend gegrillt.
“Lekker, lekker!”
Nun bin ich endgültig überzeugt und möchte die volle Portion. Sie haben es aber nur als “Pfälzer Platte” zusammen mit Bratwurst.
“Lassen Sie einfach die Bratwurst weg und packen stattdessen mehr Saumagen drauf.”
Gesagt, getan.
Als Ergebnis bekomme ich zwei Scheiben Saumagen auf Sauerkraut.
Die Konsistenz überrascht mich dann doch. Die Kartoffelstückchen wie erwartet, aber das “Fleisch” hat eine sehr homogene Textur wie Leberkäse, gar nicht wie Hackfleisch. Es ist kräftig gewürzt und in Kombination mit Senf einigermaßen geniessbar. Mehr aber auch nicht.
Später dann fragt mich die Kellnerin, ob ich ein Dessert möchte. Aus gegebenem Anlass frage ich:
“Haben Sie irgendwas mit Birne?”
“Mit Birne? Leider nicht. Warum soll es denn unbedingt mit Birne sein?”
Die Antwort bringt mich in Erklärungsnot.
“Äh, hm, ja, es handelt sich um sowas wie eine Wette.”
“Ach so.”
Sie geht und kommt kurze Zeit später wieder.
“Mit Birne hätten wir was für die Verdauung.”
Würde zwar auch passen, aber ich möchte heute noch 70 km radeln. Besser nicht.
Ich entscheide mich für Tiramisu und erwarte im deutschen Dombrauhaus entsprechend Schreckliches. Überraschenderweise bekomme ich aber einen schön verzierten und im Weck-Glas servierten Nachtisch, der zudem noch sehr “lekker” schmeckt.
Da kann man schon mal sagen:
“Danke Helmut!”

Eine Bahnfahrt, die ist lustig. Eine Bahnfahrt, die ist lehrreich.

Mainz

1. Reisetag

0 Kilometer

 

Eigentlich hat die Reise ja noch gar nicht begonnen, aber interessant war es schon heute.

 

1. Etappe S-Bahn Ratingen – Köln
Reiseradler haben ganz offensichtlich Gemeinsamkeiten mit Hundehaltern. Man wird bereits von Weitem erkannt und kommt anschließend sofort miteinander ins Gespräch. So auch in der S-Bahn von Ratingen nach Köln. Ein Vater samt Familie (Frau und zwei Kinder) setzt sich zu mir und sagt -mit Blick auf mein Fahrrad- ohne Umschweife: „Damit kann man um die ganze Welt radeln.“ Es stellt sich heraus, daß er vor 20 Jahren mit einem Freund durch Nordspanien geradelt ist, also genau die Strecke, die ich auch vorhabe. Was für ein Zufall.
Sie kommen gerade aus der Sea World in Duisburg. Ein Besuch, der ihn offensichtlich stark beeindruckt hat, denn nun fängt er an, über die Schöpfungsgeschichte zu referieren. Diese Schönheit, diese Farben und Lebensformen, die Anmut, ja auch die Gefühle, die Gedanken und natürlich die Liebe, das alles soll nur aus dem Lebenserhaltungstrieb entstanden sein, wie die Evolutionstheoretiker behaupten? Nein, er glaubt an den Schöpfer. Ich freue mich, dass der Besuch in einem Aquarium solch philosophische und theologische Denkprozesse auslöst, halte mit meiner Meinung hierzu aber besser hinter dem Berg. Da ich aber nicht unhöflich erscheinen möchte, rufe ihm bei seinem Ausstieg in Leverkusen noch ein laut frohlockendes „Halleluja Bruder, halleluja!“ zu (nein, nur ganz leise und nur für mich …).

2. Etappe Köln HBF
Eine willkommende Unterhaltung der deutschen Bundesbahn ist das bei Fahrgästen stets beliebte Bäumchen-wechsel-dich-Spiel „Wagenstandsreihungänderungsansage“. Haben wir heute in Köln gespielt. Geht in der Basisversion so: bei Einfahrt des Zuges wird man per Lautsprecheransage informiert, dass die Wagen entgegen dem ausgehängten Wagenstandsanzeiger in umgekehrter Reihenfolge einfahren. Daraufhin ensteht ein lustiges Treiben, denn alle, die sich ganz vorne am Bahnsteig aufgestellt haben, müssen schnell nach hinten laufen und begegnen nun denen, die von ganz hinten nach ganz vorne laufen. Ein fröhliches Hallo, lauter lachende Gesichter, das Leben kann so schön sein.
Heute hat sich die Bahn dazu sogar noch etwas ganz Besonderes einfallen lassen.
Ich habe eine Reservierung für das Fahrradabteil im Wagen 3.
Der Wagenstandsanzeiger kennt aber nur die Wagen 5 bis 14, fünf soll vorne sein. Diese Kopfnuss ist aber leicht, denke ich bei mir. Haben sie heute zwei zusätzliche Wagen. Drei ist ganz vorne, da stelle ich mich hin. Der Zug fährt ein, die Wagenstandsreihungänderungsansage ertönt. Voller Vorfreude, gleich allen anderen Mitreisenden zu begegnen, will ich mich schon auf den Weg nach hinten machen. Da vernehme ich der Durchsage, dass die Reihenfolge der Wagen 4 bis 14 gedreht wurde. Ich habe 3, also bleibe ich, wo ich bin.
Der Zug kommt zum Stehen.
Vorne ist 14.
Der Zugbegleiter steigt aus: “Fahrradabteil ganz hinten.”
Mist, schon wieder verloren.
Immer gewinnt die Bahn.
Menno.

3. Etappe IC von Köln noch Mainz
Als ich das recht große Fahrradabteil des Intercity betrete, befindet sich dort lediglich ein verlassener Drahtesel und ein recht junges Pärchen mit einer kleinen Tochter. Diese ist gerade mitten im Krabbelalter und offensichtlich der Grund dafür, warum sich die Familie hier im geräumigen Abteil niedergelassen hat. Das alleinstehende Fahrrad gehört nicht zu ihnen. Der junge Vater hat mir beim Einladen meiner Klamotten geholfen und so verzichte auf meinen kostenpflichtig reservierten Sitzplatz im angrenzenden Großraumabteil und lasse mich ebenfalls auf einem der Klappsitze bei den Fahrrädern nieder. Die drei fahren bis Koblenz, dort steigen sie um. Sie sind sehr sympatisch und an allem interessiert. Entlang der Strecke ab Bonn bewundern sie die Burgen und Schlösser, kleinen Dörfchen, Fachwerkhäuser.
Dann fragen sie sich: “Welcher Fluss is’n das hier eigentlich?”
Ich will hier nicht den Besserwisser raushängen lassen, möchte, dass sie selber auf die Lösung kommen und antworte daher mit einer Gegenfrage: „Hm, weiß auch nicht. Vielleicht die Donau?“
„Sehr, sehr schön!“, die Reaktion.
„Ne, war nur Scheiß, das ist natürlich der Rhein.“, meine Antwort.
„Ach so.“, kommt es etwas verunsichert zurück.
Als der Ältere von uns, erwacht nun der Bildungsauftrag in mir:”Bei Koblenz mündet die Mosel in den Rhein.”
“Die Mooosel, ja ne is klaar.”
Dann murmelt er noch was von “die Erde ist eine Scheibe und die Renten sind sicher….”.
Spätestens jetzt ist mir klar geworden, dass aus mir kein Lehrer mehr wird.

Deutsche sind lieb – wirklich!

Bayreuth, Deuschland

8. Reisetag

535 Kilometer

Auf so einer Radreise heißt es ja ständig Abschied zu nehmen, denn jeden Tag verlässt man eine Welt und bricht in eine neue auf. Das ist der Reiz einer solchen Reise und zugleich deren Herausforderung. Grenzübertritte sind immer spannende Momente und ein besonderer Abschied ist der, wenn man sein Heimatland verlässt. Dies ist bei mir nun der Fall und auf mich warten 14 Länder, in denen ich noch nicht gewesen bin. Klingt vielversprechend, oder?

Ich nehme dies zum Anlass, um mich bei all denen zu bedanken, die mir auf meiner Tour unterwegs bisher so nett geholfen haben. Als da sind:

Peter, der mich in Wesseling bei meiner Suche nach dem versteckten Zugang zum Rhein entdeckte und einfach 1,5 km vorfuhr, bis die Sache klar war. Ich wünsche ihm alles Gute für seine Tour nach Rom.

Herr Kaufmann in Andernach, der nicht nur abends mein Fahrrad in Sicherheit bringen lies und morgens wieder bereitstellte, sondern sich sofort anbot, mir bei einer kleinen Reparatur zu helfen.

Die Radfahrerin in Koblenz, die mir erklärte, wie ich über die in Renovierung befindliche und für Radfahrer gesperrte Balduinbrücke über die Mosel komme, als ich wie der Ochs vorm Berg stand.

Der ältere Herr in Rhens, der mir schon von Weitem zuwinkte, um mir die Umleitung um eine Baustelle zu erklären, damit ich nicht den Weg wieder zurückfahren musste.

Herr Bonsch in Oberwesel, der mir eine Tüte (mit Herzchen drauf) auf den Frühstückstisch legte, in die ich mir etwas zum Mittagessen einpacken sollte.

Die Kellnerin in dem unglaublichen Restaurant Borussia in Frankfurt, die echt im Stress war, mir sagen musste, dass beim besten Willen kein Platz frei war und mir dann später wahrhaftig hinterherlief, als doch noch was frei wurde. Es war die bisher schönste Mittagseinkehr auf meiner Tour.

Der sympathische Herr, der zu Studentenzeiten mit dem Fahrrad zum Nordkap gefahren ist und mich an einer Infotafel in Aschaffenburg ansprach, um mir bei der Suche nach einer Unterkunft zu helfen. Zu dumm, dass ich nicht weiter erforschte, was für ein dreirädriges Auto er fährt.

Der Bahnreisende auf dem Weg von Mainz nach Nürnberg, der mich von Aschaffenburg nach Würzburg begleite und mir mit Fahrrad und Gepäck half, weil mal wieder eine Tür der Deutschen Bundesbahn nicht funktionierte, das bepackte Fahrrad nicht durch den Gang passte und somit alles eilig in Einzelteilen aus dem Zug geschafft werden musste.

All die unerwartet vielen Leute, die mir unterwegs zuwinken, “gute Fahrt” oder “ganz schön kalt, was?” zurufen, die mich aufmuntern, bemitleiden oder motivieren.

UNGLAUBLICH!

Und natürlich frage ich mich: Liegt all die erfahrene Zuwendung daran, dass unsere Landsleute wirklich so offen, freundlich und hilfsbereit sind? Oder liegt es einfach daran, dass ich auf sie debil, degeneriert und verloren wirke.
Heilige Jungfrau Maria, bitte lass es nicht Letzteres sein!

PS. Wo bin ich hier eigentlich und wie komme ich jetzt nach Hause???

Der beherzte Griff in den Schritt

Würzburg, Deuschland

6. Reisetag

378 Kilometer

Ich bin zum ersten Mal in Würzburg. Diese Gelegenheit möchte ich nutzen, um mir die berühmte Residenz anzuschauen. Aber nicht einfach “nur so”, denn ich bin mal wieder auf Spurensuche. Doch dazu später mehr.
Jetzt schließe ich mich erstmal einer Führung an. Ich lerne dabei, dass bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Auftraggeber, also meistens Adel und Klerus, die Motive von Gemälden und Fresken genau vorgegeben haben. “Freie” Künstler gibt es erst ab dem 19. Jahrhundert.

Auf eine interessante optische Spielerei werden wir von der Führung hingewiesen. Ein Hund thront plastisch auf einer Säule, sodass man annimmt, er sei modelliert. In Wirklichkeit ist er aber Teil der Wandmalerei. Tolle Idee.

Ein Novum der Kunstgeschichte ist ebenfalls hier zu bestaunen. Zum ersten Mal Pferde von unten! Auch der stramme Hengst so detailgetreu! Das gab’s noch nie. Hab ich groß fotografiert. Die Hintergründe erspare ich uns hier.

Nun zu meinem Anliegen. Vor ungefähr 12 Jahren ist mir aus vertrauenswürdiger Quelle folgende Geschichte zugetragen worden. Der Fürstbischof von Würzburg gibt ein Fresko in Auftrag. Allerdings verweigert er dem Künstler nach Fertigstellung die Bezahlung, vermutlich, weil er mit der Arbeit aus einem mir nicht bekannten Grund unzufrieden ist. Dies wiederum veranlasst den möglicherweise cholerisch veranlagten Künstler sein Werk zu überarbeiten. Er malt zwei Engel, die jemandem (dem Chef?) ungeniert und beherzt in den Schritt greifen. Eine kleine Spitze für einen Künstler, ein große Beleidigung für einen Fürsten und Bischof! Dieser setzt dem Freigeist nach, doch der entkommt mit knapper Not.
Ich fand diese Geschichte ausgesprochen schön und so trage ich sie der Kunstführerin vor. Obwohl ich ihr einleitend mitgeteilt habe, dass ich das Geschehene aus zuverlässiger Quelle erfahren habe, fragt sie, von wem ich das denn hätte.
“Einem Lehrer.”, antworte ich. Das dürfte jeden Zweifel im Keim ersticken.
“Einem Lehrer?”, fragt sie misstrauisch.
“Einem Lehrer.”, antworte ich bestimmend.
Nein, diese Geschichte kennt sie nicht.
Sie tischt mir zwei Alternativen auf.
Einmal war der Fürstbischof mit den Farben der Fresken nicht zufrieden. Der Künstler musste überarbeiten, wurde aber bezahlt.
“Gähn.”
Ein anderes Mal, hat ein Künstler stets hinter einer undurchsichtigen Abdeckung gearbeitet. Als diese dann endlich gelüftet wurde, stellte sich heraus, dass er gar nicht malen konnte. Er wurde nicht bezahlt.
“Schnarch.”

Also ich fand meine Geschichte besser!

Neulich beim Italiener

Oberwesel am Rhein, Deuschland

3. Reisetag

214 Kilometer

Am schönen Mittelrhein liegt das beschauliche Örtchen Oberwesel. Wohltuend hebt es sich von anderen touristischen Orten, wie z.B. Boppard ab. Es gibt eine schöne Stadtmauer, viele Befestigungstürme, eine Burg auf dem Berg und einen kleinen historischen Markplatz mit viel Fachwerk. Trotz dieser angenehm zurückhaltenden Rheinromantik habe ich heute Abend keine Lust auf deutsche Weinseligkeit, sondern lande stattdessen mal wieder “beim Italiener”. Bei der Location handelt es sich um eine offensichtlich aufgegebene deutsche Kneipe mit der augenscheinlich originalen Einrichtung aus den 60er oder 70er Jahren. Die Einrichtung unserer Tennisvereinsgastronomie ist posh dagegen.
Der Wirt fragt mich, ob ich aus Oberwesel sei. Nein, ich bin auf der Durchreise, fahre mit dem Rad nach China. “Was?”, und schon sitzt er an meinem Tisch.
“Meine Frau würde mir den Kopf abreißen!”
Dann wendet er sich an seine junge, hübsche Angestellte.
“Hörmal, was würdest Du sagen, wenn dein Mann nach China fahren würde?”
“Dann kann er gleich in China bleiben!”, antwortet sie.
Diese Aussagen lassen an Deutlichkeit keine Wünsche offen und ermöglichen uns einen tiefen Einblick in das harmonische italienische Familienleben.
Doch der größte Schock steht den beiden noch bevor.
“Bis nach China, da musst du doch vier bis fünf Paare Schuhe dabei haben.”, meint er.
“Nein, nur ein Paar.”, antworte ich wahrheitsgemäß.
“Aber man braucht doch welche für den Sommer, den Winter, zum Fahrradfahren, für abends, als Ersatz, usw.”
Leute, meine komplette Garderobe für die nächsten acht Monate passt in eine Gepäckträgertasche, da muss ein Paar Schuhe reichen.
Dann ruft die Küche. Er steht auf, geht mit hängendem Haupt kopfschüttelnd dahin und murmelt völlig verständnislos “Ein Paar Schuhe, nur ein Paar Schuhe …”. Das macht ihn fertig.

Rini und Bettie pilgern zu Fuß von Zwolle nach Rom

Am 19.03.13 überhole ich die beiden sympathischen Holländer kurz vor Boppard. Sie sind zu Fuß mit einem vollgepackten Bollerwagen unterwegs und tragen große Muscheln um den Hals. Da muss ich natürlich sofort anhalten. Vor 14 Tagen sind sie in Zwolle gestartet, pilgern nach Rom und wollen dort im Juni ankommen. Zum Abschied gibt mir Bettie einen kleinen Glücksbringer, der mich auf meiner Reise beschützen soll. Ist das nicht rührend?

Peter auf dem Fahrrad von Wesseling nach Rom

Am 18.03.13 spricht mich Peter in Wesseling an. Ich suche gerade den Zugang zum Rhein. Das ist hier etwas schwierig. Der schöne Rheinradweg wird nämlich durch den großen Industriekomplex (u.a. Shell) unterbrochen und die Fahrradwegweiser verbannen einen viel zu lange auf unschöne Straßen. Das kenne ich schon, und ich weiß, dass es einen verborgenen Weg gibt, der mich viel früher wieder zum Rhein führt. Nur heute finde ich ihn nicht. Während ich suche, kommt Peter, um die 50 Jahre alt, daher und fragt “Willst du zum Rhein?”. Als ich bejahe, sagt er “Fahr mir hinterher, es sind nur 1,5 km”. Und so legt er los und wir unterhalten uns ein wenig. Er wird im Mai nach Rom fahren und hat sich eigens dafür ein neues Fahrrad gekauft, das er jetzt testet. Er fährt auch allein, “um zu sich zu finden”. Zusammen mit seiner Frau geht es dann wieder zurück.

Andere Verrückte

Auf so einer Reise trifft man viele interessante Menschen. Diese Seite möchte ich meinen Gleichgesinnten widmen. In diesem Falle also den Fernradlern und anderen Verrückten, die sich wagemutig und heldenhaft, allein oder in der Gruppe, aufmachen, um in der Ferne sich selbst, das Banale und das Abenteuer, kurz die Vielfalt unseres Lebens, hautnah zu erfahren.

Bau auf, bau auf!

Ückermünde

4. Reisetag

263 Kilometer

Wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, kommt man ja eher durch ländliche Gegenden und kleine Orte. Genau hier, so heißt es oft, sei vom Aufbau-Ost noch nicht viel angekommen. Nun bin ich mit dem Drahtesel auf bisher vier Rad-Touren durch Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, also die drei wirtschaftlich schwächsten neuen Bundesländer, gekommen und mein Fazit lautet: “flächendeckender Aufbau-Ost: ja, flächendeckender Aufschwung-Ost: nein.” Gut, vom flächendeckenden Aufschwung kann auch im Westen keine Rede sein, Städte wie Oberhausen oder Gelsenkirchen können ein Lied davon singen. Und während dort eher abgebaut wird, wird im Osten für jeden sichtbar allerorts aufgebaut. So fährt man z.B. auf dem Radweg von Berlin nach Usedom endlose Kilometer durch Wälder und Wiesen auf 2-Meter-breiten asphaltierten Radwegen höchster Qualität. Ob es wirklich Asphalt sein muss, darüber scheiden sich die Geister. So ist der ADFC pro Asphalt, während der alternative Verkehrsclub VCD eher dagegen ist. Ich bin der Meinung, man sollte Asphalt nur dort einsetzen, wo er “hingehört”. Auf urbanen Fahrradwegen, die z.B. für den Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen verwendet werden, ok. Aber im Wald, wo Freizeit-Radler ihren Sport betreiben und die Natur genießen wollen, dort ist Asphalt fehl am Platz.

Jedes Mal, wenn ich durch diese “neuen” Landschaften fahre, frage ich mich, wer das alles in Zukunft pflegen und unterhalten soll. In West-Deutschland sind die Kommunen so klamm, dass reihenweise Schwimmbäder geschlossenen werden, öffentliche Plätze und Radwege verfallen und selbst die Lobby-starken Autofahrer ihre Schlaglöcher nur noch schleppend gestopft bekommen. Wie sollen das in Zukunft nur die ostdeutschen Kommunen stemmen.

Von Ückermünde nehme ich die Fähre nach Kamminke auf Usedom. Die Fahrt dauert eine Stunde und zwanzig Minuten. Das Schiff ist ausgelegt für circa 50 Personen, Fahrräder werden auf dem Bug verstaut. Betrieben wird das Ganze von zwei Männern, schätzungsweise auf die 60 zugehend. Sehr angenehme Zeitgenossen, alteingesessene Ückermünder, witzig und redselig. Der eine sowas wie der Kapitän, der andere eine Art Bootsmann. Zuerst komme ich mit B. ins Gespräch. Er verrät mir eine alternative, sprich kürzere und schönere Radroute von Kamminke nach Ahlbeck. Diese Route führt durch Swinemünde in Polen, und so komme ich auf meiner Tour unverhofft doch noch “beim Polen” vorbei. Sehr schön! Keine Ahnung, warum mein Reiseführer diese Variante verschweigt.

Ich besuche den Kapitän in seiner offenen Steuerkabine und halte ein Schwätzchen mit ihm. Ungefragt bietet er mir an, das Steuer zu übernehmen, und so finde ich mich urplötzlich als Fährmann mitten auf dem Stettiner Haff wieder. Irgendwie so, als wenn einem in einer irischen Bar vom Barkeeper der Guiness-Zapfhahn überlassen wird (auch schon passiert).

Jetzt möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich mit diesen beiden sympathischen, alten “Ossis” über ihre Heimat und den Aufbau-Ost unterhalten, den sie schließlich hautnah erleben. Das Ergebnis erstaunt mich. Man ist gewohnt, dass “Wessis” was auszusetzen haben, aber die hier legen so richtig los. Zwei Beispiele.

In einem nahegelegenem Dorf wird an einer Kreuzung eine aufwendige Ampelanlage mit allem drum und dran errichtet. Nun ist hier leider das Verkehrsaufkommen derart gering, das nicht einmal ein Kreisverkehr, geschweige denn eine Ampelanlage gerechtfertigt wäre. Verwundert wird der Bürgermeister zur Rede gestellt, seine kreative Antwort lautet:” Durch diese Ampel werden Autofahrer angehalten und können sich anschauen, was wir hier Schönes geschaffen haben.” Eine sinnlose Ampel als Verkehrshindernis, den Autofahrer und Steuerzahler wird’s freuen.
Das zweite Beispiel betrifft die Arbeit der beiden direkt. Aufwendig wurden die Häfen am Stettiner Haff erneuert. Leider hat jetzt die Stadt Kamminke kein Geld, ihren Hafen zu unterhalten. Er versandet zunehmend. Für das notwendige Ausbaggern der Fahrrinne fehlen die Mittel. Wenn bei Südwind das Wasser aus dem Haff in die Ostsee gedrückt wird, ist der Pegel schon so niedrig, dass sie nicht mehr fahren können. Zudem wurden zwei der vier Fahrwasser-Tonnen eingespart. Einige Segler sind dadurch schon auf Grund gelaufen. Bei der letzten Rettungsaktion verlor eine Frau durch einen Unfall bei der Bergung ihr Augenlicht. Meine Gesprächspartner fragen sich, warum nicht weniger Häfen ausgebaut wurden, die dann aber auch vernünftig unterhalten werden.

Und so ist es auch hier, wie so oft im Leben: manchmal ist eben weniger mehr!

Auf der Fan-Meile in Berlin

Berlin

1. Reisetag

0 Kilometer

Auf dem Weg zum Startpunkt des Berlin-Usedom-Radweges komme ich an der Siegessäule vorbei. Dort fallen mir ungewöhnlich viele Absperrungen auf. Ach ja, klar, es ist Fußball-Europameisterschaft und hier beginnt die Fan-Meile. Die Straße des 17. Juni ist von der Siegessäule bis zum Brandenburger komplett für den Autoverkehr gesperrt. Das ist eine seltene Gelegenheit, die ich mir natürlich nicht entgehen lassen darf. Es ist Dienstagmorgen und nur wenige Leute sind unterwegs. Eine wunderbare Atmosphäre auf diesem großen und sonst so stark befahrenen Boulevard. Fußgänger, Skateboarder, Jogger und Fahrradfahrer haben die Straße in Besitz genommen. Ich geniesse die Fahrt in vollen Zügen.

Plötzlich und unvermittelt fährt ein sportlicher, älterer Typ (Rentner, wie sich zeigen wird) neben mir und grüßt freundlich. Er erkundigt sich, ob er mir eine Frage stellen dürfe. Nur zu! Er möchte wissen, ob meiner Meinung nach “für eine Frau mit 170 cm Körpergröße und 65 kg Gewicht, die täglich 3 km fahren muss, ein Klappfahrrad mit 16-, oder mit 18-Zoll-Rädern die bessere Wahl wäre.” Mich beeindruckt diese Frage nicht nur ob ihres Inhalts, sondern auch wegen ihrer erstaunlichen Präzision, die einem nicht alle Tage begegnet.

Eine skurrile Situation, hinter mir die Siegessäule, vor mir das Brandenburger Tor, neben mir der lustige Rentner mit der ulkigen Frage.

Ich stelle mir vor, wie eines abends seine Frau mit ernster Miene ins Schlafzimmer kommt und sagt. “Schatz, wir müssen reden!” Er: “Was ist denn, Liebling?” Daraufhin sie: “Schatz, du weißt doch, ich bin 170 cm groß und wiege 65 kg. Und ich muss doch jeden Tag drei Kilometer fahren. Soll ich da ein Klappfahrrad mit 16- oder 18-Zoll-Rädern nehmen?

NIEMALS, wirklich NIEMALS würde eine Frau so etwas fragen. Die einzige Frauenfrage in dieser Richtung ist doch: “Schatz, nehme ich das Blaue oder das Schwarze?” Und Jungs, wir wissen, darauf gibt es keine Antwort!

Bevor ich meinem Mitradler also diese komplexen Zusammenhänge darlege, antworte ich lieber, dass ich ihm in dieser schwierigen Situation bedauerlicherweise wirklich nicht weiterhelfen könne.

Er wechselt das Thema und erkundigt sich, wohin denn meine Reise gehe. Nach Usedom, Barther Bodden, Kopenhagen, Schweden, Bornholm und Sassnitz.
Und woher ich komme? Aus Ratingen. Nein so ein Zufall! In Ratingen haben sie eine gute Freundin, ob ich sie wohl kennen würde. Sie heißt Sowieso. Leider nein. Also, wenn ich die jetzt auch noch gekannt hätte, würde er Asphalt fressen! Daraufhin überlege ich, ob ich meine Meinung nicht vielleicht doch noch revidieren soll. “Frau Sowieso, hmm, ja. Sowieso? Nein, doch nicht.”

Obwohl, das hätte ich schon gern gesehen!

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