Ephesus und die großen Geschäfte

Ephesus, Türkei

49. Reisetag

3465 Kilometer

Ephesus ist für alles Mögliche berühmt, unter anderem dafür, dass hier mit dem Tempel der Artemis eines der sieben Weltwunder der Antike stand.
Bevor ich hier eintraf waren schon andere, ebenfalls recht bekannte Persönlichkeiten da, u.a. König Krösus, Alexander der Große und die Römer, die Ephesus zur Hauptstadt des Römischen Reiches für die Provinz Asien machten. In dieser Zeit wohnten bis zu 250.000 Menschen in dieser Stadt.

Ephesus ist riesig, bei weitem die größte ausgebuddelte Stadt, die ich bisher gesehen habe. Allein das Zusammensetzen der bereits freigelegten Teile wird noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Und da bisher erst ca. 18% der Stadt überhaupt ausgegraben wurden, hat man hier noch Jahrhunderte zu tun. Die vielleicht wichtigsten und interessantesten Teile der Stadt sind wunderbar zu besichtigen, also z.B. Bibliothek, Amphitheater, Tempel, Agora und die Latrinen.

Diese öffentlichen Toiletten waren damals ja ein geselliger Treff. Was heute für viele deutsche Männer der Stammtisch oder für die Türken das Teehaus ist, war früher schlicht und einfach der Donnerbalken. Gesellig saß man Pobacke an Pobacke, schwatzte über Gott und die Welt, aß ausgiebig zusammen, wickelte handfeste Geschäfte ab (daher ja auch dieser Ausdruck) oder chillte einfach (für unsere Jugend).

Mein englischer Lonely Planet Reisefüher bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

“… even if you had a private bathroom at home you would often come to the public toilets to shoot the shit with your friends (sorry, we had to say that)…”

Aus nachvollziehbaren Gründen waren die Räumlichkeiten oben offen. Die perfekte Lüftung. Und damit unter freiem Himmel niemand frieren mußte, waren die Wände im Winter sogar beheizt.

Wer angesehen und vermögend war, konnte exklusives Mitglied einer öffentlichen Toilette werden und einen Sitzplatz für sich reservieren. Da stelle ich mir vor, wie der Herr Bürgermeister reinkommt, zu seinem angestammten Sitzplatz geht, der aber gerade besetzt ist.
“Das ist mein Platz!”
“Ich bin gerade bei einem wichtigen Geschäft.”
“Egal, weg da!”
Steht der dann auf und trippelt mit bis zu den Knöcheln runtergelassener Hose und blankem Hintern an der Sitzparade vorbei zum nächsten freien Platz?

Wie auch immer. Wer heute was auf sich hält, ist in einer Charity Organisation, einem Business Club, bei Amnesty International, den Lions, den Rotariern oder beim FC Bayern München. Früher dagegen hieß es in der besseren Gesellschaft einfach:

“Und in welchem Scheißverein sind Sie?” (Entschuldigung, aber das mußte einfach sein!)

Troja – Mann oh Mann Schliemann

Troja, Türkei

42. Reisetag

2985 Kilometer

Bis zu meinem Besuch der Überreste von Troja dachte ich wirklich, der deutsche Heinrich Schliemann sei ein angesehener Archäologe und ehrenwerter Mann. Schließlich gilt er als Entdecker Trojas. Ich bin eines Besseren belehrt worden.

Schliemann war auf der Suche nach Troja. Da trifft er zufällig an den Dardanellen den Briten Frank Calvert. Der suchte ebenfalls nach der alten Stadt. Dummerweise hat Calvert zuerst an einer falschen Stelle gebuddelt und ist nun pleite. Er empfiehlt Schliemann einen Hügel, da muss Troja sein. Schliemann, Typ erfolgreicher Geschäftsmann mit teurem Hobby, kann vor lauter Geld in den Taschen kaum laufen und läßt sich nicht zweimal bitten. Aber was macht der Kerl? Anstatt die verschüttete Stadt behutsam freizulegen, treibt er mal eben eine 17 Meter tiefe und 20 Meter breite Schneise quer durch den Hügel. Archäologen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Seine Tat geht als “Schliemann-Graben” in die Geschichte ein. Es zeigt sich, dass Schliemann in Wirklichkeit nämlich gar kein Archäologe, sondern nur ein simpler Schatzjäger ist. Tatsächlich findet er Kostbarkeiten und nennt sie großspurig Schatz des Priamos. Fast überflüssig zu bemerken, dass Schliemann auch bei der Datierung des Schatzes voll daneben liegt. Entgegen der Abmachungen mit der lokalen Regierung, nimmt er den Schatz an sich, schmuggelt in außer Landes und macht ihn “dem Deutschen Volke” zum Geschenk.

Schäm Dich Schliemann! Wir wollen Deine geklauten Geschenke nicht!

Seit dem zweiten Weltkrieg ist Russland übrigens im Besitz der Kostbarkeit und stellt sie in Moskau aus. Die Türkei bemüht sich bisher vergebens um eine Rückführung.

Ansonsten ist Troja nicht wirklich einen Besuch wert. Man braucht schon sehr viel Fantasie, um sich die Stadt in seiner ursprünglichen Form vorzustellen. Wie um dieses Defizit auszugleichen, hat man ein großes trojanisches Pferd nachgebaut, dass man, wenn nicht gerade Bauarbeiten im Gange sind, auch im Innern erklimmen kann.
Na ja, wer’s mag.
Aber allemal besser als ein Schliemann-Graben!

Dardanellen – von Mutterliebe, Gott, Natur und Wichtigerem

Kabatepe, Türkei

41. Reisetag

2940 Kilometer

Es ist der 25.04.1915. Lassen wir mal dahingestellt, wer in diesem Konflikt zuerst geschossen hat. Davon können wir Deutsche ja auch ein Lied singen. Auf jedem Fall starten an diesem Datum Einheiten des British Empire, vor allem aus England, Neuseeland und Australien, in Allianz mit Frankreich, ihren Versuch, die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, Istanbul, zu erobern. Das ist nicht so einfach, denn um mit einer Flotte aus dem Mittelmeer dorthin zu gelangen, muss man durch eine kleine Meerenge, die Dardanellen, oder auch die Straße von Çanakkale genannt. Dieses schmale Gewässer ist zugleich der Übergang von Europa nach Asien, ähnlich dem Bosporus in Istanbul. Umgeben ist die Meerenge also sozusagen vom Festland auf asiatischer und von der schmalen, länglichen Halbinsel Gallipoli auf europäischer Seite. Zu besagtem Datum landen die Angreifer auf dieser Halbinsel. Es folgen die schlimmsten Kämpfe des ersten Weltkrieges. Circa 150.000 Soldaten sterben, auf einem Schlachtfeld der Größe eines Fußballfeldes allein 7.000. Zudem sind mehr als eine Viertelmillion Verletzte zu beklagen. Gemessen an der Bevölkerung erleiden die Australier die größten Verluste. Es war ihr erster Kriegseinsatz überhaupt. Nach neun Monaten müssen sich die Angreifer geschlagen zurückziehen. Auf türkischer Seite befehligte ein u.a. ein Offizier namens Mustafa Kemal die Truppen. Hier wird er zum Volkshelden. Später wird er zum Gründer der modernen Türkei, nennt sich dann Atatürk, “Vater der Türken”. Sein Konterfei ist überall im Land zu finden, natürlich auch auf einem Geldschein. Unter anderem setzt er die Trennung von Staat und Kirche durch. Eine Großtat in diesem Land.

Die Halbinsel Gallipoli ist heute eine Pilgerstätte. Zu meinem großen Erstaunen aber nicht nur für die Türken, sondern auch für Neuseeländer und Australier. In Folge des ersten Weltkrieges zerfiel eben nicht nur das Osmanische Reich, sondern auch das British Empire. Alle drei Staaten sehen in dem 25.04.1915 die Initialzündung zur Gründung ihrer selbständigen Staaten. So ist in Neuseeland und in Australien der 25.04. heute einer der höchsten Feiertage.

Der Zufall will es so, dass ich die Halbinsel am Wochenende nach dem 25.04. durchfahre. Es reiht sich Bus an Bus. Alle ehemaligen Schlachtfelder sind heute Gedenkstätten, es gibt unzählige Friedhöfe und mehrere Informationszentren. Ich besuche das vielleicht modernste in Kabatepe. Der Eingang riesig, die äußere Erscheinung ehrfurchteinflößend. Im Inneren bin ich zuerst etwas enttäuscht, denn es gibt nur zwei halbe Etagen mit Ausstellungsstücken. Dazu soll es noch einen Film geben. Dieser Film entpuppt sich später als eine der modernsten Multimedia-Shows, die mir bisher untergekommen ist. Insgesamt gibt es 11 Themenräume, die man nacheinander durchläuft. Ich bekomme ein Audioguide, das die Texte der eingespielten Filme nicht intern gespeichert hat, sondern per Infrarot empfängt. Dadurch erhält man eine Simultan-Übersetzung aller Szenen. In jedem Raum werden Stadien der Auseinandersetzung thematisiert. In einem wird man auf eines der englischen Schiffe versetzt. Der Boden schwankt so stark, dass man sitzen muss. Im Weiteren gibt es 3D Filme, in denen einem die Granaten um die Ohren fliegen, 360 Grad Projektionen, einen Raum mit Liegesitzen und Kuppel, wie im Planetarium, Schützengräben, durch die man läuft, alles sehr erschreckend echt. Irgendwie bin ich froh, als ich wieder raus bin.
Dann besuche ich die kleine Ausstellung. Was man so kennt: Schuhe, Gewehre, Feldflaschen, Alltagsgegenstände der armen Kerle. Dann aber entdecke ich einen ins Englische übersetzten Brief eines türkischen Soldaten, den er zwei Tage vor seinem Tod geschrieben hat. In poetischen Worten huldigt er seiner Mutter, dem Gott im Himmel, der Natur. Sehr ergreifend. Ich bin gespannt, wie er sein recht schwülstiges Schriftstück wohl beenden wird. Und dann kommt die Überraschung, die diesen Menschen für mich dann doch so sympathisch macht.

“Liebe Mutter, ich brauche keine Unterwäsche. Ich habe Geld.”

Herrlich.

Huckehuckepack nach Bulgarien

Stara Zagora, Bulgarien

38. Reisetag

2574 Kilometer

Ich übernachte unweit der Fähre, die mich von Rumänien nach Bulgarien bringen soll. Meine letzten rumänischen Leu habe ich in einem kleinen Minimarket in Kaffee und Reiseproviant investiert, nun kann es weiter gehen.

Erst als ich an der Fähre angekommen bin, bemerke ich, dass ich ja noch Leu für die Überfahrt benötige. Verdammt, das ärgert mich. Dazu muss ich erwähnen, dass ich im Ausland folgendes Prinzip beherzige: ich esse das lokalen Essen, ich trinke das lokale Bier, ich zahle in der lokalen Währung. Mir fällt das leicht, denn ich verfüge über einen Magen wie ein Pferd, habe nie verstanden, warum die Deutschen so stolz sind auf ihr Bier, andere Länder habe auch klasse Biere und ich kann ganz gut Kopfrechnen.

Aber jetzt stehe ich vor dem Kassenhäuschen der Fähre und muss in Euro bezahlen. Das ist in keinem der Länder durch die ich bisher gefahren bin ein Problem. Im Gegenteil, oft sind z.B. die Zimmerpreise nur in Euro ausgeschildert und nicht in der Landeswährung. Mir gefällt sowas nicht. Aber jetzt bleibt mir für meine letzte Transaktion in Rumänien nichts anderes übrig. Die Fährfahrt kostet drei Euro. Ich bezahle mit einem Zehn-Euro-Schein und bekomme wie selbstverständlich einen Fünf-Euro-Schein und eine Zwei-Euro-Münze wieder. Dazu gibt es eine Quittung, ebenfalls in Euro ausgestellt. Da bin ich schon etwas verwundert, denn Rumänien ist von der Einführung unserer tollen Gemeinschaftswährung offiziell noch weit entfernt, praktisch haben sie sie fast schon.

Weiter geht es vorbei an einer wartenden Schlange von Lastwagen direkt zum Fähranleger. Dort finde ich eine einsam mitten im Wasser liegende Rampe vor, an der die Fähre vermutlich anlegen wird. Wie bitteschön soll ich da denn hinkommen? Als dann die Fähre kommt, stellt sich heraus, dass sie einen eigenen Ausleger hat, der noch weiter hinten im Wasser landet. Während der Wartezeit komme ich mit vier netten Rumänen ins Gespräch, von denen zwei einen offensichtlich verunfallten Transporter auf einem Anhänger werweißwohin überführen. Kurzerhand packen alle mit an und mein Fahrrad samt Gepäck wird auf die Ladefläche des Transportes auf dem Anhänger gehievt. Oben drauf ist es so wackelig, dass ich das Fahrrad lieber hinlege. Ich selbst passe noch in die Fahrerkabine mit rein. So klappt es mit der Fährfahrt.

Die Grenzabfertigung problemlos, an die kyrillische Schrift konnte ich mich in Serbien schon gewöhnen. Und anders als beispielsweise in Russland ist Bulgarien eher “zweischriftig”.

Dann der erste Platten. Auf einer Baustelle in einem Dorf macht es plötzlich peng und zisch, das war’s. Beim ersten Mal etwas aufwändig, das ganze Gepäck runterzuladen, später gewöhnt man sich dran… Bald kommt ein Bulgare mit Flickzeug in der Hand aus dem Haus. Ich bedanke mich herzlich, benötige es aber nicht, weil mein Flicken schon drauf ist. Die Bulgaren sind also auch nett!

Jetzt ist erstmal Zeit für eine Mittagspause. In der nächsten Kleinstadt decke ich mich am Automaten mit bulgarischen Lev ein, dann geht es zum nächsten Imbiss. Die Bedienung versteht kaum Englisch und kein Deutsch, wir einigen uns auf Pommes Frites. Interessanterweise fragt sie nicht, ob ich Ketchup oder Majo will, sondern “Cheese, yes, no?”. Ich sag natürlich “Yes, please!” und bekomme Pommes mit geriebenem Schafskäse drauf. Auch lecker.

Ich bemerke ein Fahrrad, das vorne am Lenker eine Stihl-Kettensäge transportiert. Als der Fahrer kommt, frage ich, ob ich ein Foto machen darf. Wir kommen ins Gespräch. Er heißt Eliah. Ihm fehlen die Hälfte seiner Schneidezähne, der Rest ist in bedauernswertem Zustand. Bei uns ginge er als astreiner Obdachloser durch. Aber Überraschung. Er spricht sechs Sprachen (bulgarisch, russisch, rumänisch, serbisch, “Zigeuner” und deutsch), ist pensionierter Handwerker, schwört auf deutsche Maschinen, was anderes kommt ihm nicht unter, und seine Mutter lebte einst in Bielefeld. Er wünscht mir Glück für meine Reise.

Dann der zweite Platten. Die Baustelle hatte mir den Hinterreifen aufgeschlitzt und unter Druck hat sich der Schlauch, von mir unbemerkt, durch den Riss gedrückt. Das konnte nicht lange gut gehen. Ich flicke notdürftig und werde den Reifen bei nächster Gelegenheit austauschen müssen.

Abends dann im Hotel. Ich frage nach einem Zimmer. Kein Problem.
“Haben Sie ein Nichtraucher-Zimmer?”
“Das ganze Hotel ist ein Nichtraucher-Hotel.”
“Sehr gut.” Sie gibt mir den Schlüssel.
“Aber ein, zwei oder drei Zigaretten auf dem Zimmer sind kein Problem.”
“Ich möchte aber ein Zimmer, in dem nicht geraucht wurde.”
“Kein Problem, dies ist ein Nichtraucher-Hotel.”
Widerstand zwecklos.

Später gehe ich noch was essen. Hier werde ich mit einer anderen lustigen Eigenheit der Bulgaren konfrontiert. Sie schütteln den Kopf, wenn sie “ja” meinen und nicken bei “nein”. Ich hatte schon davon gehört.
Als ich bestelle, fragt mich der Kellner, ob ich auch Brot möchte. Ich nicke und sage “ja”. Er nickt und sagt “Kein Brot?” Oh, verdammt, dass kann kompliziert werden. Ich nehme mir vor, bei “ja” und “nein” einfach den Kopf ganz ruhig zu halten. Das ist schwieriger, als man denkt. Ungefähr so, wie bei diesem Spiel, bei dem in schneller Folge Fragen gestellt werden, die man aber nicht mit “ja” oder “nein” beantworten darf. Spiel verstanden? Reingefallen!

Das Essen war ausgezeichnet. Der Kellner kommt. Er fragt, ob es geschmeckt hat.
Gut gesättigt nicke ich zufrieden.

Rumänien – auf dem Land eine andere Welt

Bechet, Rumänien

33. Reisetag

2372 Kilometer

Von Serbien kommend überquerte ich zuerst einen Zipfel der Südkarpaten, fuhr dann entlang der Donau durch das “Eiserne Tor”, den Durchbruch der Donau durch die Karpaten, um anschließend durch die Wallachei wieder zur Donau zu gelangen, über die ich mich nach Bulgarien verabschiedete.

Was mir zuerst in Rumänien auffiel, war der viele Müll am Wegesrand. Das habe ich in keinem anderen der Staaten Osteuropas gesehen, selbst bei einer früheren Tour in Russland nicht. Der Müll war scheinbar kein lokales Problem, denn er verfolgte mich über die komplette Strecke von fast 400 km in Rumänien. An vielen Stellen wird er einfach verbrannt, mit allem was dazugehört, Plastiktüten, Plastikflaschen, Styropor, usw.

Auch an die allgegenwärtigen Hunde musste ich mich erst gewöhnen. Die vielen Straßenhunde in erbärmlichen Zustand sind scheu, schreckhaft und tun nichts. Andere Hunde sind schon eher aggressiv und werden von Radlern gefürchtet.

Als nächstes für unsereins sehr ungewöhnlich, die Landwirtschaft. Keine großen Felder, selten mal ein Traktor. Die kleinen, oft unebenen Äcker werden überwiegend von Hand bearbeitet. Viele alte Frauen mit Schaufeln und Hacken sind hier zugange, Pferde ziehen Pflüge durch den Boden. Ich hatte in Ungarn bereits einen Pferdewagen gesehen, aber hier in Rumänien vergeht auf dem Land keine Minute, ohne dass man einen sieht.

Dann die Autos. Wenn man glaubt, dass hier nur alte Schrottkarren rumgurken ist man komplett falsch gewickelt. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ok, es gibt ein paar vereinzelte alte Dacias, die fallen jedoch kaum auf. Alle anderen sind relativ neu. Es gibt auffallend wenig Autos. Alte Mopeds sind ebenfalls Mangelware. In Serbien zum Beispiel habe ich erstaunlich viele Autos gesehen , die schon zu meiner Studentenzeit unterwegs waren , z.B. R4 von Renault und den Käfer, auch einige Trabis im Altagsgebrauch. Viele Mopeds stammten noch aus ostdeutscher Produktion, also Simsom und Schwalbe. Nichts dergleichen in Rumänien. Noch in den 80-er Jahren muss zumindest das ländliche Rumänien so gut wie Moped- und Auto-frei gewesen sein, ansonsten hätten noch ein paar mehr alte Schätzchen überlebt.
Auch heute noch kann sich kaum ein Normalbürger ein Auto leisten. Kein Wunder, die Spritpreise entsprechen, wie in allen Ländern, durch die ich bisher gekommen bin, ungefähr den unseren, aber die Einkünfte und sonstigen Lebenshaltungskosten sind nur ein Bruchteil von unseren. Für einen Kaffee habe ich letztens umgerechnet 20 Cent bezahlt.

Die Kleinstädte, in denen ich übernachtet habe, empfand ich als recht angenehm. Viel Platz für Fußgänger, wenig Autos und eine inzwischen gute Infrastruktur. Es ist unübersehbar, dass die wirtschaftliche Entwicklung in den Städten stattfindet, wie bei uns in Ostdeutschland ja auch, aber die Entwicklung auf dem Land eher stagniert.

Das Dorfleben in Rumänien war für mich eine völlig neue Erfahrung. Dörfer kannte ich bisher entweder als rausgeputzt (“unser Dorf soll schöner werden”) oder relativ leblos, Stichwort Landflucht. Hier in Rumänien pulsiert das Leben auf dem Lande noch. Vor jedem zweiten Haus gibt es eine Sitzbank, auf der auch wirklich Leute sitzen. Bürgersteige gibt es nicht, alle laufen auf der Straße rum. In den Dörfern befinden sich meist mehrere Brunnen, die noch rege benutzt werden. Alte Omis, die zwei volle Wassereimer über die Straße schleppen sind keine Seltenheit. Die Häuser meist ärmlich, aber nicht vernachlässigt. Überall wird gewerkelt und gearbeitet, die Rumänen sind fleißig!
Ein Dorf mit einer Durchgangsstraße kann sich glücklich schätzen, denn diese ist asphaltiert. Alle davon abgehende Straßen sind unbefestigt. Ich habe Dörfer ohne eine einzige befestigte Straße gesehen.
Teppiche werden offensichtlich nicht gesaugt, denn allerorts sieht man, wie sie mitten auf der Straße geschrubbt und dann über den Zaun zum Trocknen aufgehängt werden. Läden aller Art, Schulen, Werkstätten, all das ist noch vorhanden.
Fährt man mit dem Fahrrad durch ein Dorf, kommt man sich vor, wie bei der Tour de France, wo alle am Straßenrand stehen und anfeuern. Wie viele Sprachen habe ich hier schon gehört? ” Bon Voyage, buon giorno, servus, sehr gut, hello, ciao, dobre” und vieles mehr. Gegrüßt und gewunken wird von allen Altersgruppen. Die Kinder erspähen einen schon von weitem und kommen zum Abklatschen, selbst auf dem Fahrrad.

Freundliche Menschen, eine grandiose Landschaft, gutes Wetter, Rumänien hat viel zu bieten, aber auch noch einen ganz, ganz langen Weg vor sich.

Und ehrlich gesagt, wenn ich König von Rumänien wäre, würde ich als erstes etwas einführen, was mit “Müll” anfängt und mit “abfuhr” aufhört!

Hund gegen Internet

Dubova, Rumänien

31. Reisetag

2117 Kilometer

Von Hundeangriffen auf Radfahrer hatte ich in Vorbereitung auf meine Tour schon einiges mitbekommen. Die Rede war von kilometerlangen Verfolgungen, Stürzen, Bissen, dem puren Horror. Grund genug also, sich mit diesem Thema eingehender zu beschäftigen.

Wäre doch gelacht, ihr kleinen Kläffer! Ihr habt zwar schnelle Beine und scharfe Zähne, aber wir haben das Internet! Dort findet sich alles Mögliche zur Abwehr von Hundeattacken.

Gern empfohlen werden verschiedene Formen von Reizgas. Für einen alten Anti-AKW-Demonstranten kommt sowas natürlich überhaupt nicht in Frage. Gewaltfreier Widerstand!

Andere versuchen es auf eine sich anbiedernde Art und Weise, indem sie Leckereien mitführen, um die Bestien damit zu besänftigen. Da locke ich die Viecher womöglich noch an und werde sie gar nicht mehr los. Völliger Blödsinn.

Immer wieder auch der Tipp, einen Stock mitzuführen, um damit auf die Angreifer einzudreschen. Nix da, ich will Frieden schaffen ohne Waffen. Ein Stock kommt für mich überhaupt nicht in Frage, ich nehme Steine!

Am logischsten erscheint mir folgendes Verhalten. Der Jagdtrieb der lieben Kleinen wird in erster Linie durch das Pedalieren angeregt, also einfach mit dem Strampeln aufhören. Dann verlieren sie ihr Interesse. Gerne darf noch ein Stein geworfen werden, dann bekommen sie Angst, die Feiglinge. Im Zweifelsfalle einfach stehenbleiben.

Soweit die Theorie. Zeit für einen Praxistest. In ungarischen Dörfern gibt es in jedem Haus mindestens einen Hund, aber immer schön hinterm Zaun. Hier ist man sicher. Als ich eine kleine Pause einlege, kläffen mich gleich drei Eingesperrte mit unglaublichem Durchhaltevermögen an. Prima Möglichkeit die Steinemethode auszuprobieren. Einfach mal einen Kiesel gegen das Gitter (nicht gegen den Hund!) geknallt, sie gehen wahrhaftig stiften. Da bin ich schon etwas erstaunt. So einfach ist das?

In Rumänien dann der erste Angriff. Plötzlich sind zwei kleine Kläffer hinter mir her. Da merke ich, dass auch wir Menschen instinktgetrieben sind. Entgegen aller Vorbereitung gebe ich richtig Gummi und trete so die Flucht an. Erst bleiben sie noch dran, dann geben sie auf. Hat zwar auch funktioniert, aber bergauf oder bei größeren Hunden, kein Chance. Ich stopfe meine rechte Hosentasche mit Steinen voll.

Beim nächsten Mal sehe ich schon von Weitem ein mittleres Kaliber auf mich warten. Ich trete ordentlich in die Pedalen, um Fahrt aufzunehmen. Dann läuft der Kerl laut bellend und zähnefletschend auf mich zu. Ich höre mit der Strampelei auf, Füße hoch, das Tier nun hinter mir, dranbleibend. Also Stein aus der Tasche und auf den Boden (nicht auf den Hund!) geknallt. Damit hat er nicht gerechnet, er gibt auf.

Jetzt werde ich übermütig! Warum warten, bis sie mich angreifen? Ich versuche einen Präventivschlag! Da hinten ist schon wieder einer. Gute Gelegenheit. Noch in sicherer Entfernung entnehme ich meinem gut gefüllten Magazin ein Wurfgeschoss und werfe es in Richtung des Tieres (nicht auf das Tier!). Verdammt, das war keine gute Idee. Das hat ihn erst so richtig angestachelt. Jetzt hetzt er auf mich zu, ich krieg ordentlich Schiss. Hallo, war doch gar nicht böse gemeint. Ich will ja nur spielen. Da bleibt er plötzlich stehen, wie um mir zu sagen: “Mach das bloß nicht nochmal, Kleiner!”. Ok, die Lektion habe ich verstanden.

Ich strecke die Waffen und entledige mich meiner Steine. Von nun an bin ich komplett gewaltfrei unterwegs. Seitdem habe ich alle Attacken einfach ohne zu treten ausgerollt. Einmal am Berg musste ich absteigen. Da sind sie sofort stehengeblieben und ich bin gaaanz langsam davongeschoben. Alles gut.

Aber den kreativsten Vorschlag zur Hundeabwehr habe ich nicht aus dem Internet, sondern – man mag es kaum glauben – von der tierliebsten Person, die ich kenne. Ich solle mir doch eine zweite Fahrradkette besorgen, diese neben mir wie einen Propeller rotieren lassen und so die Bestien erledigen! Man stelle sich das mal vor. Durch Helm und Fahrradkleidung falle ich eh schon überall auf wie ein Außerirdischer. Wenn ich dann noch ketteschwingend in Wildwest-Manier durch das rumänische Dorf reite und ein Gemetzel unter den einheimischen Vierbeinern anrichte, das könnte für Verstimmung unter der anwesenden Bevölkerung sorgen.

Das mache ich nicht.

Ich habe Stil.

Ich kaufe mir einen Poloschläger!

Nikola Tesla – nein, er baut keine Elektroautos in Kalifornien!

Belgrad, Serbien

29. Reisetag

1993 Kilometer

Er war ein Genie, er hat mit seinen Erfindungen unsere heutige Welt geprägt wie kaum ein anderer, er hat den Nobelpreis abgelehnt, er war etwas schräg, er ist weitgehend unbekannt und er ist auf dem serbischen 100 Dinar Schein: Nikola Tesla.

Ich oute mich hier mal als Ingenieur der Elektrotechnik und von daher war mir Tesla als eine Einheit für die magnetische Flussdichte bekannt. Ein großer Fan dieses eigensinnigen Menschen wurde ich aber erst, als ich vor ca. 30 Jahren eine Biographie über ihn las.

Er wurde in Serbien geboren, ist dann aber irgendwann in die USA ausgewandert und hat dort die meiste Zeit seines Lebens verbracht. Auch die Serben haben ihn 100 Jahre lang verschlafen, jetzt ist er hier ein Star. In Belgrad haben sie ihm ein eigenes Museum eingerichtet.

Etwas vereinfacht zwei seiner Großtaten.
Tesla hat wie Edison an der Elektrifizierung gearbeitet. Vorher gab es nur Kerzenlicht. Edison setzte auf Gleichstrom, Tesla erfand den Wechselstrom. Durchgesetzt hat sich der Wechselstrom, gibts in jedem Haus und alle unsere Geräte laufen damit. Die beiden sollten gemeinsam den Nobelpreis erhalten. Tesla, der sich als Genie verstand, lehnte ab, er wolle ihn nicht mit einem simplen Erfinder und Tüftler teilen. Somit ging auch Edison leer aus. Der dürfte sich mehr geärgert haben.
Tesla erfand auch die Radiowellen. Den Nobelpreis dafür erhielt der Engländer Marconi. Erst viel später, nach seinem Tode, wurden die zugrundeliegenden 17 Patente Tesla zuerkannt. Der Nobelpreis wird posthum nicht verliehen, so wurde eine physikalische Einheit nach Tesla benannt. Das gab es weder für Edison noch für Marconi.

Das Museum in Belgrad ist sehr schick, aber recht klein. Es gibt kontinuierlich Filme und Führungen. Sehr schön, denn sonst wären die Exponate für die meisten Besucher unverständlich. Und ich habe auch noch etwas gelernt, das ich sehr lustig fand.

Zur Demonstration seiner Radiowellen baute Tesla das erste Schiffsmodell mit drahtloser Fernsteuerung überhaupt. Er lies es 1898 in New York auf einem See im Central Park zu Wasser. Die Fernsteuerung ein riesiges Pult. Für die Zuschauer war es unbegreiflich, dass der Kahn wie durch Zauberhand gesteuert wurde. Das Radio war zu dieser Zeit schließlich noch nicht erfunden! Einige Skeptiker stiegen tatsächlich ins Wasser um die dort angeblich verborgenen Steuerdrähte zu suchen.

Vergebens!

Beim Devisendealer meines Vertrauens

Novi Sad, Serbien

27. Reisetag

1809 Kilometer

Samstagvormittag in Novi Sad. Ich fahre erst mittags weiter und habe so Zeit, mir die recht schöne Alt- und Innenstadt anzusehen. Anscheinend ist sowas wie Bienenmarkt, bestimmt vierzig Stände nur mit Produkten rund um Honig, Honigherstellung, Bienenwachs, usw. .
Außerdem fallen mir die endlosen Tische der Außengastronomie auf. Die kriegen die doch nie voll, denke ich, aber später am Mittag ist wirklich kaum noch ein Platz zu bekommen.

Jetzt bemerke ich, dass sogar die Banken geöffnet haben. Samstags! Nicht schlecht, denn ich habe noch 3.500 ungarische Forint übrig, die ich mal eben in Serbische Dinar tauschen könnte. Immerhin ein Kapital von ca. zwölf Euro. Hier in Serbien gibt es, wie auch schon in Ungarn, Tschechien und Kroatien, einen Ableger der österreichischen Sparkassen, nennt sich “Erste”. Da geh ich rein. Kurze Schlange, dann bin ich dran. Ich präsentiere meine drei Scheine und bitte um Umtausch. Die Angestellte lächelt freundlich amüsiert. “Forint? Nein, also wirklich! Die tauschen wir nicht um. Nur Euro, Dollar, Yen, etc., aber doch keine Forint.” Ich komme mir vor, als wenn ich ihr aus Versehen Monopoly-Scheine untergejubelt hätte, dabei handelt es sich doch um die Währung eines direkten Nachbarlandes von Serbien!
Ab zur nächsten Bank. Western Union, die werben draußen mit Exchange.
“Eimal Dinar für Forint bitte.” Gleiches erheiterndes Ergebnis.
“Wo denn dann?”
“Da drüben vielleicht!”, sie weist in eine kleine, dunkle Passage. Dort gäbe es eine Wechselstube. Na gut, wenn’s denn gar nicht anders geht. Bei der “Stube” handelt es sich um ein winziges runtergekommenes Kabuff, dass man nicht betreten kann (und ganz sicher auch nicht möchte). Bedient wird hinter einer Scheibe, die erstens völlig schmierig und zweitens zugepflastert ist mit allen möglichen Aufklebern. Den bestimmt gut geschulten Servicemitarbeiter kann man bestenfalls erahnen, sehen kann man ihn nicht. Mir völlig unerfindlich, warum der persönliche Kontakt an dieser wichtigen Kundenschnittstelle nicht praktiziert wird. Hier würde ich mich doch glatt noch zum Kauf einer Versicherung oder einer garantiert sicheren Geldanlage überreden lassen!

Egal, sein Wohlverdientes schiebt man durch ein kleines Fenster in ein schwarzes Loch, ohne wirkliche Hoffnung auf Wiederkehr. Auch meine drei Scheine (2000, 1000 und 500) erleiden dieses Schicksal. Zu meiner Überraschung kommt der 500-er sofort wieder raus. Man kennt das von Ticket- oder Parkautomaten. Bei Nichtgefallen spucken die einem den gerade erst mühsam eingeführten Schein mit affenartiger Geschwindigkeit gleich wieder aus. Aber verglichen mit dieser Aktion hier, arbeiten unsere Automaten in Superzeitlupe.
Na gut, denke ich mir, umdrehen und wieder rein damit. Bei uns funktioniert das ja häufig. Gerade will ich den Schein nehmen, da streckt sich aus dem Fenster ein Zeigefinger heraus. Dieser bewegt sich erst mehrfach von links nach rechts und von rechts nach links, um anschließend entschieden auf eine kleine Macke in dem Schein zu zeigen. Danach nimmt er wieder seine Winke-Winke-Bewegung auf um schlussendlich auf Nimmerwiedersehen im schwarzen Loch zu verschwinden. Verstanden. Eine Diskussion halte ich schnell für aussichtslos. Ich nehme also meine Beute in Dinar und verabschiede mich ohne Handschlag.

Aber was mache ich nun mit dem 500-Forint-Schein, der immerhin um die 1,70 Euro wert ist? Völlig klar, den bringe ich mit nach Hause zurück. Dann gehe ich damit zu meiner Hausbank. Und wenn die den nicht umtauschen wollen, dann mache ich aber sowas von die Welle.
“Wie bitte, den akzeptieren Sie nicht? Hör’n se mal, selbst in Serbien wird der von jeder Provinzbank an jeder Ecke getauscht und Sie stellen sich so an? ICH KÜNDIGE MEIN KONTO!”
Das wird lustig!

PS.
Aus sicherer Quelle habe ich hier erfahren, dass der Forint-Kurs in Kürze durch die Decke geht. Ich bin also so gut wie saniert.

Vukovar

Vukovar, Kroatien

27. Reisetag

1809 Kilometer

Die Schrecken des Jugoslawien-Krieges verbinde ich seit dem Jahr 1991 mit der Stadt Vukovar. Noch immer läuft mir bei diesem Namen ein eiskalter Schauer den Rücken herunter. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich diesen Ort jemals besuchen würde. Und plötzlich bin ich ganz in der Nähe. Der Donauradweg führt an diesem Ort nicht vorbei und so entscheide ich mich für einen Umweg.

Zwei Bilder gingen damals um die Welt und haben noch heute traurige Berühmtheit. Ein Krankenhaus und ein Wasserturm. Auf die Suche nach diesen Orten möchte ich mich begeben.

Die Schlacht um Vukovar dauerte fast drei Monate. Aus Wikipedia:
“In dieser Zeit schlugen in Vukovar bis zu 8000 Granaten täglich ein, insgesamt sechs Millionen Geschosse. Den kroatischen Truppen – 800 Soldaten und Polizisten, dazu gut 1000 Freiwillige – stand ein größeres Regiment der Jugoslawischen Volksarmee und serbischen Freischärler gegenüber, die Vukovar mit Panzern, gepanzerten Fahrzeugen, Flugzeugen und schwerer Artillerie einnehmen wollten.
Die Belagerung der Stadt durch die Jugoslawische Volksarmee dauerte 87 Tage und endete am 18. November 1991. Als die Soldaten an jenem Tag in die inzwischen fast völlig zerstörte Stadt einmarschierten, lebten dort noch 2000 Menschen. Viele von ihnen hatten während des Bombardements Zuflucht im Krankenhaus von Vukovar gesucht.”

Die Eroberer holten aus dem Krankenhaus und Umgebung 200 kroatische Männer und Jungen. Alles unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Die Filmaufnahmen gingen um den Globus. Angeblich sollten die Gefangenen an einen sicheren Ort gebracht werde. In Wirklichkeit wurde von den Serben an den Kroaten ein Massaker verübt. Entsetzlich, wenn man sich vorstellt, dass heute noch diese Filme zu sehen sind und Frauen und Mütter ihre Männer und Söhne zum letzten Mal beim Einsteigen in die Busse sehen. Herzzerreißend.

Beim Einfahren in Vukovar fällt sofort auf, dass alle Häuser entweder neu verputzt, neu gebaut oder zerstört sind. Ich habe kein einziges Haus von 1991 oder davor gesehen, dass im Originalzustand und unversehrt ist. Alle Dächer sind neu. Zufälligerweise fahre ich in die Stadt über die Tripinstrasse. Sie war am härtesten umkämpft und bekam den Beinamen Panzerfriedhof. Keine Ahnung, wie es die Kroaten mit ihren bescheidenen Mitteln geschafft haben, all die Panzer zu zerstören. Hier findet sich auch gleich die erste Gedenkstätte. Im Boden eingelassen durchnummerierte Steine, ähnlich den Stolpersteinen, wie sie bei uns zu finden sind. In den Wänden Monitore, auf denen unter anderem Filmsequenzen zu sehen sind, die die Verwüstung der Stadt zeigen. Sie erinnern an Bilder von Berlin oder Köln nach dem 2. Weltkrieg.

Ich empfinde die Weiterfahrt in die Stadtmitte als sehr gespenstig. Zwischen den “neuen” Häusern immer wieder total zerschossene Gebäude, die einem das Gefühl geben, als wenn erst gestern hier die Kugeln eingeschlagen wären. In der Innenstadt dann der kaum zu überbietende Kontrast. Auf der einen Straßenseite schicke Cafés, die Tische draußen, frequentiert von vorwiegend jungen Leuten, wie sie genauso auch in Düsseldorf oder München anzutreffen sein könnten, auf der anderen Straßenseite durchlöcherte Fassaden vom Krieg zerstörter Gebäude.

An dem Krankenhaus komme ich nicht vorbei. Zumindest erkenne ich es nicht. Es gibt dort wohl auch nur eine recht unscheinbare Gedenktafel. Ein Touristenbüro, wo ich mich erkundigen könnte, ist nicht vorhanden. Eine Infotafel enthält ebenso keinen Hinweis. Verwunderlich, oder auch nicht? Was tun? Jemanden fragen: “Wo bitteschön geht es zu dem Krankenhaus, wo …?”. Halte ich für nicht angebracht. Und so beende ich hier meine Spurensuche, ich denke, das ist das Beste.

Der Wasserturm übrigens ist unübersehbar und bleibt als Mahnmal hoffentlich noch lange erhalten.

In Bratislava gibt es sie noch, die alten Geräusche.

Bratislava, Slowakei

19. Reisetag

1134 Kilometer

Fährt man von Österreich kommend nach Bratislava, fällt zu allererst auf, dass gleich zwei Autobahnen über Brücken die Donau queren. Offensichtlich ist das hier ein wichtiger Ost/West-Knotenpunkt, denn beide Schnellstraßen sind stark befahren und ein Spaghettiknoten unterstreicht die Bedeutung auf nicht gerade ansehnliche Weise. Glücklicherweise ist man als Radfahrer davon unbetroffen, denn der Fahrradweg führt abseits der Straßen und die verwendete Brücke verfügt über zwei Etagen, oben die Autos, unten das Fußvolk.

Anschließend landet man auf einer im “heutigen” Stil neu gestalteten Donaupromenade , sprich coole Lounges und Bars, Glaspaläste mit sicher sündhaft teuren Appartements, alles vom Feinsten. Kennen wir auch aus der Heimat zu Genüge.

Dann kommt die historische Altstadt, zu Beginn hat sie etwas mondänes, einen breiten, schönen Boulevard, der nur Fußgängern offen steht und standesgemäß an einem Hotel Carlton endet. Sowas hatte ich hier nicht erwartet. Düsseldorfer Kö oder Berliner Unter den Linden ist die passende Kategorie, nur dürfen in B. und D. leider auch Autos fahren. Die Altstadt ist bestens restauriert, sehr schön und wirklich sehenswert.

Doch sofort fällt mir hier was ganz Eigentümliches auf. Ein Geräusch, das ich noch aus meinen Kindertagen kenne. Man hört es ganz nah und aus der Ferne. Man hört es aus allen Himmelsrichtungen. Man hört es mal laut, mal leise. Man hört es mal lang und mal kurz. Und ich weiß sofort, was ist. Es sind die Straßenbahnen! Sie haben hier noch die schönen alten Dinger, die beim Durchfahren von Kurven Geräusche machen. Diese rühren daher, dass die alten Bahnen noch komplett starre Achsen haben. Beim Durchfahren der Kurven reiben deshalb die Räder an den Rändern der Schiene und verursachen so diese Töne. Neuere Bahnen haben bewegliche Achsen, die sich den Kurven anpassen und dadurch keine Kurvengeräusche mehr erzeugen. Die entstehenden Kompositionen sind sehr interessant, denn sie hängen von so vielen Faktoren ab, als da sind: das Wetter, die Jahreszeit, die Geschwindigkeit der Bahn, der Zustand der Räder und der Schienen, Gewicht, Länge, Beladung, usw. Mal sind die Töne hell, mal dunkel, mal unterbrochen, mal nicht. Manchmal ändern sie ihre Frequenz abrupt, manchmal langsam, manchmal gar nicht. So entstehen durch diese alte Technik immer wieder neue Symphonien.
Gaby und ich waren vor ca. sechs Jahren mal in Erfurt. Da fuhren auch noch die alten Schätzchen rum, mit gleichen Konsequenzen. Monate später las ich irgendwo, dass die Erfurter Straßenbahnen durch neue ersetzt werden sollten.
Daraufhin hat sich tatsächlich und erfreulicherweise eine Initiative gegründet, mit dem Ziel, dies zu verhindern. Die alten Bahnen, sowie die durch sie erzeugten Melodien gehören zum Kulturgut dieser schönen Stadt. Ich weiß leider nicht, wie die Sache ausgegangen ist, aber ich befürchte, nicht gut.

 

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